Mittwoch, 21. Juli 2010

Robert Steigerwald, Kritische Bemerkungen zu den "Thesen"

Kritische Bemerkungen zu den vom Sekretariat des Parteivorstands der DKP in der Januar - Tagung des Parteivorstands eingebrachten „Thesen“. (aus: www.kommunisten.eu)

I. Der Gang der Entwicklung.
Das Sekretariat des Parteivorstands der DKP übergab diesem „Thesen“. Sie sollten vom Parteivorstand beschlossen werden und zur Vorbereitung auf den Parteitag im Oktober 2010 dienen. Noch vor der Diskussion im Parteivorstand wurden diese Thesen bekannt. Dies durfte nicht verwundern, denn es gab und gibt im Parteivorstand als Widerspiegelung von Differenzen in der Gesamtpartei eben auch diese gewichtigen Differenzen. Mit den „Thesen“ wird von den Verfechtern der einen Richtung versucht, ihre Lesart zu Lasten der anderen festzuschreiben.
Darum wurden offensichtlich von Genossen der „überlisteten“ Richtung die Thesen, noch bevor der Parteivorstand sie erörtern konnte, im Internet verbreitet, so dass einige Genossen, darunter auch ich, den Text schon vor der Parteivorstands -Tagung in Händen hatten und sich kritisch dazu äußern konnten. Die teils heftige Kritik nicht nur von mir veranlasste den Parteivorstand, die „Thesen“ nicht - wie vom Sekretariat gewünscht - als Diskussionsvorgabe zum Parteitag zu beschließen, sie sollen stattdessen den Diskussionsprozess einer im ersten Halbjahr 2011 stattfindenden theoretischen Konferenz vorbereiten.
Obwohl also diese „Thesen“ kein vom Parteivorstand beschlossenes Dokument sind, sondern Grundlage für eine erst im nächsten Jahr stattfindende theoretische Konferenz sein sollen, wird bereits jetzt trickreich von ihren Verfechtern gearbeitet. So wird, im Prozess der gegenwärtigen Vorbereitung des Parteitags, dafür „gesorgt“, dass Kritiker der Thesen nicht zum Parteitag delegiert oder auf Listen für Kandidaturen zum Parteivorstand gesetzt werden. Zu erinnern ist daran, dass Rosa Luxemburgs Wort von der Freiheit der Andersdenkenden – oft missbraucht! – sich auf Andersdenkende in der Parteidiskussion bezog, keinesfalls die Freiheit Andersdenkender in Gestalt der Bourgeois meinte. Oder dass Lenin, nach dem X. Parteitag, dafür sorgte, Repräsentanten der im Parteitag unterlegenen Opposition ins Zentralkomitee aufzunehmen. Ihm war klar: Wenn es in der Partei nur eine einzige genehmigte „Linie“ geben darf, dann sind Erörterungen über Alternativen nicht mehr möglich, und das führt auf die Dauer zur Stagnation und dann zum Tode der Partei. Das haben wir doch erlebt. Sollten wir nicht daraus lernen, zumal es ja bei „Thesen“-Verfechtern ein Liebäugeln mit einem pluralistischen Parteikonzept gibt.
Die Partei hat Erfahrungen in der Erarbeitung von wichtigen Dokumenten. In der Regel benennt der Parteivorstand, wenn ein solches Dokument nötig ist, aus seiner Mitte einige Genossen, die einen Entwurf erarbeiten. Die ganze Partei ist darüber informiert und kennt die Autoren des Entwurfs. Der Prozess der Erarbeitung des Dokument-Entwurfs findet in aller Öffentlichkeit, in für die ganze Partei nachvollziehbarer Weise statt.
Der Dokument-Entwurf wird im Parteivorstand, wenn es sein muss, in mehreren Tagungen beraten und dann zur Diskussion in der Partei frei gegeben. Solche Diskussionen der Gesamt-Partei nehmen in der Regel einen Zeitraum von mindestens einem Jahr ein, es kommt zu Hunderten von Änderungsvorschlägen, die bearbeitet werden und das auf dieser Grundlage überarbeitete Dokument wird dann als Antrag des Parteivorstands einem Parteitag zur abermaligen Diskussion und Beschlussfassung vorgelegt.
Die oben angeführten „Thesen“ wurden nicht in einem solchen demokratischen Verfahren erarbeitet und sollten auch nicht nach einem solchen Verfahren beschlossen werden. Über den Prozess der Erarbeitung der „Thesen“ und über ihre Verfasser wurde - z. B. trotz mehrfacher Nachfrage durch mich an den Parteivorsitzenden und seinen Stellvertreter Leo Mayer – geschwiegen, die Partei kennt die Autoren nicht! Auch die Parteivorstandsmitglieder wissen nicht, wer die Autoren waren! Ich halte eine solche Vorgehensweise nicht vereinbar mit dem an mehreren Stellen in den „Thesen“ gemachten sowohl wortstarken als auch ungeklärt gelassenen Bekenntnis zur Demokratie!
Warum wurde dieses Verfahren gewählt? Es machte es möglich, für die Erarbeitung der „Thesen“ allein Verfechter der Deutung des Marxismus heranzuziehen, die auf dem Boden dieser Richtung stehen, dagegen die im Prozess der Erarbeitung des Parteiprogramms mit dieser Deutung nicht einverstandene Richtung auszuschließen. Diese Verfahrensweise wird auch gegenwärtig bei der Benennung von Delegierten zum Parteitag bzw. bei der Aufstellung von Personalvorschlägen so gehandhabt.
Ich halte dies für ein Überrumpelungsmanöver.
Thesen sind ein theoretischer, kein belletristischer Text und haben mit klar definierten Begriffen zu arbeiten, diese nicht durch Metaphern oder Beschreibungen zu ersetzen. Wenn in Diskussionen zu den „Thesen“ etwa Leo Mayer oder Walter Listl anmahnen, richtig zu lesen, so frage ich mich, ob es richtig ist, dass Text zu seinem Verständnis erst noch der Leseanleitung bedarf.
Klarheit der Begriffe gibt es in den Thesen nicht allzu oft! Es gibt nicht einmal den Versuch, den inflationär benutzten Un-Begriff des Neoliberalismus zu definieren! Der Wortstamm „neoliberal“ kommt in den Thesen 29 mal vor, sogar einmal als „neoliberale Lebensweise“ (welch ein Unfug! Man schaue sich stattdessen an, was in jenen „Thesen“ geschrieben wurde, die der Parteitag von 1986 zur „Lebensweise“ der „unteren Millionen“ verabschiedete: Dort wird gründlich dargelegt, wie sich Lebensbedingungen und soziales Umfeld der Arbeiterklasse verändert haben, unter welchen sozialen Bedingungen heute Bewusstseinsbildung erfolgen muss. Nichts von diesen bis heute nicht überholten Darlegungen in den Thesen, statt dessen „neoliberale Lebensweise“.) (Vorschlag zur Definition: Neoliberalismus ist Bestandsteil des ideologisch-politischen Überbaus zum staatsmonopolistischen Kapitalismus. Also Abgeleitetes, nicht Ursprüngliches, Escheinung, nicht Wesen. Diese Begriffsbestimmung hätte Folgen für die Strategie und Taktik der Partei. So, wie Religionskritik nicht bei der Kritik des himmlischen Paradieses, sondern bei der Kritik am irdischen Jammertal ansetzen muss, um sinnvoll zu sein, müsste auch hier die Kritik an Überbau-Phänomenen mit der Kritik ihrer Basis verbinden werden.
Das aber wäre nicht der „Neoliberalismus“, sondern der Imperialismus, seine staatsmonopolistische Entwicklungsstufe. Den Begriff Imperialismus gibt es jedoch in den „Thesen“ nicht, nur einmal taucht das Wort auf bei der Beschreibung von Vorgängen in Lateinamerika. Das bedeutet, es gibt keine sozial-ökonomisch bestimmte Basis in den „Thesen“. Soll Neoliberalismus den Imperialismus ersetzen? Wenn ja, welcher Basisbegriff für diesen Ersatz käme in Frage (etwa der Markt, der freie Markt oder was weiß ich was). Es könnte dies nur den Verzicht auf den Monopol-Begriff als denjenigen bedeuten, der den Imperialismus fundiert.
Die Tatsache, dass die „Thesen“ nicht, wie vorgesehen beschlossen sondern zurück gestellt wurden, weiterhin, dass in einigen Punkten die Kritiken teilweise berücksichtigt wurden beweist, dass diese Kritiken berechtigt und notwendig waren. Dies muss festgehalten werden, weil es ständig Versuche bis hin zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gab und gibt, die Kritiker und ihre Kritik, auch ihre angeblichen Motive zu diskreditieren. Ich komme darauf noch zu sprechen.

II. Welches waren die vorgetragenen Haupt-Kritikpunkte?

Die „Thesen“ bewegten sich in wesentlichen Fragen weg von dem 2006 nach jahrelanger Diskussion auf der Grundlage von Kompromissen durch einen Parteitag mit großer Mehrheit beschlossenen Programm!
Sie verließen in einigen Fragen den Boden des Marxismus.
Indem sie den Kompromiss aufkündigen, der zur Beschlussfassung über das Parteiprogramm führte, gefährden sie zumindest die Einheit der Partei.
Bisher nicht kritisiert wurde, dass den „Thesen“, die doch der Vorbereitung eines Parteitags dienen sollten und in ihrer Überschrift den Eindruck erweckten, den Weg aus der Krise zu zeigen, Handlungsorientierung fehlt.
Gehen wir in die Einzelheiten:
Wie steht es um das „Neue“?
Grundsätzlich ist zu fragen, worin denn das Neue besteht und woran man festmachen kann, ob die vorgetragenen Positionen wirklich Weiter- oder Fortentwicklung des bzw. vom Parteiprogramm sind, welche Kriterien hierfür zur Verfügung stehen. Ohne solche Kriterien kann man jede Änderung als Weiterentwicklung bezeichnen. Das ist eine Nebelwand, hinter der man alles Mögliche und Unmögliche verstecken kann.
Tatsächlich gibt es seit der Verabschiedung des Parteiprogramms Neues und muss versucht werden, dies aufzuarbeiten.
Nehmen wir solche Versuche:
Der polit-ökonomische einleitende Teil ist voller Beschreibungen, von denen manche zutreffen, andere höchst problematisch sind.
Da heißt es in These 5 zur Krise: „Das Wachstumsmodell des globalen Kapitalismus hat sich erschöpft.“ Und. „Diese Krisenprozesse sind mit der Erschöpfung bisheriger Wachstumsfelder der autozentrierten Produktionsstruktur und der Kommunikations- und Informationstechnologie verflochten.“ Oder in These 8: „Die Krise ist Ausdruck dafür, dass die kapitalistische Produktionsweise an ihre natürlichem Grenzen stößt.“
Eine „natürliche Grenze“ für die Gattung, wenn sie so weitermacht wie gegenwärtig, besteht tatsächlich und es war Marx, der schon im „Kapital“ darauf verwies. Aber ist dies eine „natürliche“ Grenze des Kapitalismus?? Gibt es so etwas überhaupt? Haben wir nicht die Erfahrung, dass, wenn der eine Weg, das eine „Wachstumsfeld“ verstopft ist, ein anderer, ein anderes gesucht und gefunden wurde? Was wird mit der Automobilproduktion und dem Automobilabsatz mit der Einführung alternativer Antriebstechniken geschehen? Lenin hat einmal gesagt, der Kapitalismus werde nie ohne Ausweg sein, diese Einschätzung hat sich doch als zutreffend erwiesen. Den richtigen Ausweg müssen wir ihm schaffen, er schafft ihn sich nicht selbst! „Uns aus dem Elend zu erlösen…“
Es ist also schon noch zu fragen, was da wirklich Neues ist und was von diesem wirklichen oder vermeintlichen Neuen zur Zeit der Beschlussfassung über das Parteiprogramm nicht bekannt war. Wir haben seit der Erarbeitung des Parteiprogramms von 2006 über den Sozialismus keine neuen Erkenntnisse gewonnen, die über das hinausgehen könnten, was im Parteiprogramm steht. Soll das Neue also darin bestehen, was in der ursprünglichen, gegen Ende der „Thesen“ dann nach der Kritik korrigierten nur negativen Bewertung des Sozialismus stand? Das würde dann auch zu den noch zu erörternden Aussagen über einen „demokratischen Weg“ passen. Sozialismus negativ, Weg demokratisch. Und der Oktober 1917, war der demokratisch oder nicht?
Neue Fragen wurden teilweise bereits vor über hundert Jahren erörtert und entschieden und es gibt dazu keine neuen, korrigierende Argumente. Das gilt auch zu den Fragen des Klassenbewusstseins und des Charakters der marxistischen Partei der Arbeiterklasse. Alles, was dazu heute zu sagen ist, war auch bei der Erarbeitung des geltenden Parteiprogramms bekannt. Es ist also zu fragen,, was denn wirklich mit einem so weitreichenden, grundsätzliche Positionen betreffenden oder sie korrigierenden Dokument beabsichtigt war?
Nehmen wir die Herangehensweise an das Thema Sozialismus und das Demokratieproblem. Ich erwähnte schon, dass die Realität des Sozialismus in den ursprünglichen „Thesen“ gegen Ende nur negativ angesprochen wurde. Ist das die Lehre aus unserer Geschichte? Im Parteiprogramm sieht das anders aus. Auf dieser Grundlage ist aktive Sozialismus-Propaganda nicht machbar. Umfangreich ist die Rede von Demokratie, von demokratischem Weg. Das kann jede Partei so formulieren! Das ist klassenneutrales Gerede, kein Marxismus. Und es ist auch verschwommenes Gerede, wenn auf „andere sozialistische Theoretiker“ verwiesen wird. Es gibt durchaus qualitative Anforderungen, die es verbieten, die Klassiker mit weiter nicht benannten Personen in einem Atemzug zu nennen. Hinter solchem unklaren Gerede hat schon die PDS in ihrer Ursprungsphase versteckt, was wirklich gemeint ist. Inzwischen wissen wir ja, was hinter der Nebelwand verborgen wurde.
Die Floskel vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts wird benutzt, da denkt mancher an Diederichs Buch (ich war anwesend bei der Ausarbeitung dieser „Konzeption“ durch Arno Peters - Diederich hat sie nur nacherzählt -und habe sie schon in diesem Ursprungsprozess kritisiert). Dies ist eine ökonomisch völlig unhaltbare, allein ethisch-sozialistische und gleichmacherische Konzeption, wir sollten jede Möglichkeit vermeiden, Assoziationen in der Partei zu solchem Unfug zu wecken.
Was den angepriesenen „demokratischen Weg“ angeht frage ich, warum die klaren, eindeutigen Aussagen in den Parteiprogrammen von 1967 (illegale KPD) und 1978, 2006 durch die Worte von einem demokratischen Weg ersetzt werden sollen. Gerade erst wieder hat Leo Mayer in einer offenen Diskussion mit mir lediglich den einen Satz aus der ursprünglichen Fassung der Thesen wiederholt, dass wir einen friedlichen und demokratischen Weg erstreben. Der Hinweis, die Formel sei auch im KPD-Programm von 1967 enthalten, ist falsch. Erstens wurde dieses Programm im Unterschied zu jenem von 1978 und dem geltenden, nie von einem Parteitag beschlossen. Zweitens wurde es in der Zeit der Illegalität geschrieben, was bisweilen auch „Sklavensprache“ (Lenin) nötig machte. Drittens sind den dortigen Worten vom friedlichen und demokratischen Weg die gleichen inhaltlichen Präzisierungen beigefügt, wie sie sich auch im Programm von 1978 und dem jetzigen befinden. Was also soll die vernebelnde Formulierung des „demokratischen Wegs“ ohne die Präzisierung durch das
Parteiprogramm wirklich bezwecken? Leo Mayer muss doch wissen, welche Assoziationen die Formulierung vom „demokratischen Weg“ im „normalen Menschen“ erzeugt, dass er darunter lediglich Wahlen und Parlamentarismus versteht. Der Oktober war kein solcher Weg, war er deshalb nicht demokratisch? Als Weg der Massen war er demokratisch und darum waren es die Massen der Arbeiter und Bauern, die den Sowjetstaat gegen Konterrevolution und Intervention verteidigten! Was also soll die Phrase vom demokratischen Weg wirklich?
Zu den Aufgaben der eigenen Partei und zum Hineintragen von Bewusstsein in die Klasse:
Im Jahre 1808 schrieb Hegel an seinen Freund Niethammer: Ist erst das Bewusstsein revolutioniert, kann die Wirklichkeit nicht mehr lange standhalten (Brief vom 28. 10. 1808). Diese Betonung der entscheidenden Rolle des Bewusstseins ist keinesfalls Hegels Idealismus geschuldet. Auch Engels schrieb in seiner Feuerbach-Schrift, dass alles, was den Menschen in Bewegung setzt, erst durch sein Bewusstsein hindurch müsse, und ich kann mir nicht vorstellen, dass man das bezweifelte. Der junge Marx hat in seiner berühmten Schrift „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“, sich auf zwei Quellen des Emanzipationskampfes beziehend, nämlich auf die Theorie – den Kopf – und die Klasse,- das Herz – die Notwendigkeit herausgearbeitet, beides zu vereinen, damit die Kraft zum Befreiungskampf entstehe. Und das Ergebnis dieses Vereinigungsprozesses, dieses Hineintragens der Theorie in die Klasse war die Kommunistische Partei. Auch das Studium jener Arbeit, die Marx (er vor allem!) und Engels, aufwendeten, um die I. Internationale entstehen zu lassen, macht eines klar:
Marx wollte mit der Inaugural-Adresse den größtmöglichen gemeinsamen ideologischen und politischen Nenner herausfinden, auf dessen Grundlage (!) diese Internationale entstehen sollte. Es ging also um das unter den damaligen Bedingungen mögliche gemeinsame (in sich sehr differente) Bewusstsein als Basis. Oder nehmen wir Lenin. Er bewertete das historische Verdienst Lassalles so, dass er es geschafft habe, die Arbeitermassen von der bürgerlichen Ideologie und Politik loszureißen. Das war in heutiger Sicht gewiss überbewertet aber dennoch ein wichtiger Hinweis auf die Bedeutung des Ringens um Hegemonie. Im Klartext heißt dies (auch in Anlehnung an Gramsci): Ohne ideologisch-kulturelle Hegemonie, ohne dass die arbeitende Klasse frei geworden ist vom ideologischen und politischen Gängelband der Bourgeoisie (von deren Hegemonie!), ohne dass sie durch das Bewusstsein der eigenen Lage und Rolle zu einer Klasse für sich geworden ist, ohne dass sie an die Stelle der Hegemonie der Bourgeoisie die Hegemonie der Abeiterklasse, die Hegemonie der sozialistischen Idee errungen hat, kann der Kampf um die Befreiung vom Kapitalismus nicht gelingen, ist an einen Übergang vom Stellungs- zum Bewegungskrieg (Gramsci) vom ideologischen zum politischen Kampf, zum „Sturm“ auf die Festungen des Kapitals nicht zu denken. Und da lese ich nun in den Thesen, es gehe nicht darum, Bewusstsein in die Klasse hineinzutragen oder Hegemonie zu erringen. Das wurde „abgesichert“ durch den Zusatz: in Bündnissen. Da wäre wohl eine Lesehilfe nötig!
Hätte man gesagt, es gehe nicht darum, zu versuchen, dies „gewaltsam“ zu tun, so könnte man das hinnehmen, allenfalls wäre hinzuzufügen, wer so etwas versuche, sei ohnehin auf dem Holzweg, denn Menschen zu gewinnen, dazu bedürfe es gewiss der geistigen Leistung, aber Gewalt ist da, wie man heute sagt: kontraproduktiv. Es wird gesagt, angesichts des hohen wissenschaftlich-technischen Wissens der heutigen Arbeiterklasse sei in dieser - anders als in früheren Phasen ihrer Entwicklung - ein Wissen darüber vorhanden, was Wissenschaft ist und darum sei die Konzeption des Hineintragens des Bewusstseins in die Klasse überholt. Das bedeutet, dass das tatsächlich hohe produktions- und verwaltungstechnische Wissen von Teilen der Klasse mit dem Klassenbewusstsein verwechselt (also nicht verstanden) wird. Kann man wirklich davon ausgehen, dass eine hochgradig mit den modernen elektronischen Instrumenten umgehende Arbeiterin oder ein solcher Arbeiter, aus der Kenntnis von Hard- und Software usw. erfahren, dass die einst durch die sog. ursprüngliche Akkumulation des Kapitals entstandene Scheidung der lebendigen Arbeitskraft von ihren Produktionsmitteln, darum die Herausbildung der beiden Grundklassen des Proletariats und der Bourgeoisie, welches Kapitalverhältnis sich stets reproduziert, weshalb Rosa Luxemburg sagte: Das letzte Wort der Akkumulationstheorie sei die Erkenntnis von der Notwendigkeit der proletarischen Revolution, kann man wirklich davon ausgehen, der mit hochkarätigem PC Arbeitende (Blöd-Zeitungsleser) gewinne mittels der PC-Arbeit solche Einsichten, wie die eben erwähnten? Das aber sind doch Einsichten, die erst durch das Hineintragen der marxistischen Theorie in die Klasse wirksam werden. Gerade darum ist die Partei nötig, sie wäre es nicht, würden die kritisierten Worte der „Thesen“ stimmen! Ich denke, wer so wie angegeben über die Frage des „Hineintragens“ von Bewusstsein in die Arbeitermasse schreibt, der ist sich über die Rolle des Bewusstseins im Allgemeinen, des Klassenbewusstseins im Besonderen nicht klar. Dabei brauchte er nur die Praxis der Bourgeoisie zu verfolgen: Nichts ist ihr wichtiger, nichts muss von morgens bis abends mehr praktiziert werden, als das Vernebeln des Bewusstseins der Massen mittels Zeitung, Film, Glotze, historischer, von der Gegenwart ablenkender Schinken. Das gilt vom Papst bis hinab zum kleinen Lokalredakteur. Vom Gegner kann man auch lernen!
Lenin hat in seinem Buch „Was tun?“ auf diese zentrale Bedeutung des Ringens um das Bewusstsein der Massen immer wieder verwiesen. Ohne solches Bewusstsein (Lenin: Ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis!) ist die Klasse blind. Und was von ihm – in der Nachfolge von Kautsky, der ihm damals noch der Lehrer war – zum Hineintragen des Bewusstseins in die Klasse geschrieben wurde, so muss man freilich Lenins Buch einfach lesen (dazu bedarf es keiner Lesehilfe!). Da wird man finden, dass Lenin bei diesem Hineintragen zwei sachlich und historisch unterschiedliche Aspekte herausarbeitet. Das erste Mal geht es um die Bildung der heute marxistisch genannten Theorie. Dazu waren grundlegende Kenntnisse zur Philosophie, Ökonomie, Geschichte und noch einiges mehr nötig, die zum Teil auch nur in Fremdsprachen vorlagen, Quellentexte, die Arbeiter mit der geringen Schulbildung gar nicht er- und verarbeiten konnten.
Marx und Engels haben auf diesen Aspekt – auf die Rolle von Intellektuellen, die sich in der Frühphase der revolutionären Arbeiterbewegung anschlossen - doch schon im „Kommunistischen Manifest“ (im ersten Kapitel) verwiesen. Dann, später in seinem Buch, macht Lenin darauf aufmerksam, dass das Klassenbewusstsein mehr ist als das nur ökonomische und nur soziale Bewusstsein. Es muss alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens einbeziehen, von der Ökonomie bis zu den Höhen der Politik, und dazu ist mehr erforderlich, als der dennoch wichtige tagtägliche Kampf um die unmittelbaren ökonomischen und sozialen Interessen. Dass Kräfte, denen an einem solchen umfassenden Bewusstsein der Klasse nicht gelegen ist und gelegen sein kann, dies nicht wollen, ist doch einsichtig. Denn solches Wissen führt an die Einsicht heran: Die Emanzipation der Klasse von der bürgerlichen Herrschaft erfordert während aller (!) Phasen des Kampfes der Klasse das Hineintragen des Bewusstseins in die Klasse. Erfordert nicht nur historisch, während des Entstehungsprozesses der marxistischen Partei der Arbeiterklasse, sondern stets, auch und gerade heute (!) die intensivste ideologisch-politische Arbeit der Partei, denn es bildet sich nicht von selbst, nicht automatisch. Im Gegensatz zu Positionen in dem angegebenen Diskussionspapier ist es geradezu die Hauptaufgabe, man könnte sagen: die wichtigste von allen wichtigen Aufgaben der kommunistischen Partei, Klassenbewusstsein entwickeln zu helfen, es in die Klasse hineinzutragen.
Wozu sollte man diese Partei denn sonst brauchen? Den sozialökonomischen Klassenkampf zu führen, wäre Aufgabe der Gewerkschaft. Wo sie dies ungenügend tut, hängt das doch damit zusammen, dass gewerkschaftliche Führungskraft unter der Hegemonie bürgerlichen (z. B. reformistischen, klassenharmonischen usw.) Bewusstseins handelt. Und was ist dagegen zu tun, wenn nicht zu versuchen, diesen bürgerlichen Nebel im gewerkschaftlichen Raum zu vertreiben, Klassenbewusstsein zu wecken und das kann doch nicht tun, wer selbst in diesem Nebel wirkt. Die bewusstseinsbildende Kraft der Partei ist geradezu unersetzlich!
Sollen die Thesen ein neues Programm vorbereiten?
Die „Thesen“ sind ganz offenbar nicht als solche gedacht, die für den Zeitraum zwischen zwei Parteitagen gelten sollen. Sie enthalten insbesondere zum Thema Imperialismus (ohne dass dies klar herausgearbeitet wird) Positionen, zu denen es in der Partei keinen Konsens gibt. Ohne eine solche Klärung besteht die Gefahr, dass solche „Thesen“ den Kompromiss aufkündigen, auf dem das Parteiprogramm nach jahrlanger Diskussion zustande kam. Damit gefährden sie die Einheit der Partei. Meines Erachtens ist das Parteiprogramm so lange, wie sein Kompromiss-Charakter nicht durch die Klärung der unterschiedlichen Positionen überwunden wurde, die einzige, die Einheit und den Erhalt der Partei sichernde Grundlage.
Die „Thesen“ haben programmatischen Charakter, das wird deutlich daran, dass sie Orientierungen für einen längeren Zeitraum enthalten und dabei wichtige Fragen im Widerspruch zum geltenden Parteiprogramm behandeln.
Wie wurde auf die Kritikpunkte reagiert?
Es heißt, die „Thesen“ verließen nicht den Boden des Parteiprogramms und des Marxismus. Sie dienten der Weiterentwicklung des Parteiprogramms.
Die Kritiker wollten neue Entwicklungen missachten (Äußerungen Leo Mayers, Walter Listls, Thomas Hagenhofers).
Diese Bemerkungen erwecken den Eindruck, nur die Verfasser und Verteidiger dieser „Thesen“ seien fähig, Neues zu erkennen und sich damit zu befassen. Die Kritiker der „Thesen“ seien dessen unfähig. Diese arrogante Selbstbeweihräucherung kann man nicht akzeptieren.
Es gab Schmähungen der Kritiker: „Grauköpfe“, „Wächterrat“, es habe sich nur um ein Komplott der Redaktion der „Marxistischen Blätter“ und ihres Herausgeber-Kreises gehandelt (Verschwörungstheorie!). Dabei wird übersehen, dass Autoren der „Thesen“ in größerer Anzahl diesem Herausgeber-Kreis angehören. Kritikern wird Eitelkeit unterstellt. Leo Mayer brachte es fertig, am Tag nach der Parteivorstandstagung in einem Interview folgende Äußerungen von sich zu geben: Es hätte nur etwa ein Dutzend Genossen Kritik geübt. Namen der Kritiker nannte er nicht und er wusste, warum, denn die Kritiker haben in der Partei Rang und Namen (Willi Gerns, Beate Landefeld, Hans-Peter Brenner, Hans Heinz Holz, Jörg Miehe, Robert Steigerwald, Patrick Koebele u. a.) Er ergänzte diese Bemerkung: Die Kritiker hätten die Diskussion verhindern wollen. Also: Erstes Argument, die haben kritisiert, also diskutiert! Zweites Argument: Sie wollten die Diskussion verhindern. Beide Argumente fressen einander auf. Dass die Kritiker Änderungen der „Thesen“ bewirkten und die Haltung des Sekretariats und des Parteivorstands beeinflussten, war ihm dabei wohl „entgangen“.
Die Analyse der in der Debatten-Seite (im Internet) geäußerten Positionen zu den „Thesen“ zeigt, dass die weitaus größte Zahl der Diskutierenden die „Thesen“ ernsthaft kritisiert! Ganz und gar unannehmbar sind solche beleidigende Formulierungen in den Thesen – die ja im Kern Willi Gerns und mich betreffen müssen, die wir für den in Frage kommenden Zeitraum die Verantwortlichen in der Partei waren oder Jupp Schleifstein – der war doch auch ein international hoch angesehener Theoretiker, Historiker und Politiker! - und Heinz Jung, die das IMSF leiteten: S. 44 unten: „Willkür autorisierter Interpreten“ oder die Kennzeichnung unserer damaligen Arbeit durch Hagenhofer als Arbeit mit der Methode des „Nürnberger Trichters“. War das IMSF ein solcher „Nürnberger Trichter“, waren die jeweiligen mindestens einjährigen innerparteilichen Diskussionen zu unseren Grunddokumenten „Nürnberger Trichter“? Waren unsere Eingriffe in die theoretischen und ideologischen Debatten (sogar internationaler Art oder mit dem Maoismus) Trichter? In welcher Partei waren jene, die so etwas geschrieben haben?
Es ist erforderlich, sich um einige Kriterien zu bemühen, an denen die in der DKP strittigen Fragen einer möglichst objektiven Bewertung unterzogen werden können. Auch inzwischen vorliegende Erfahrungen sind zu nutzen. Wobei diese Kriterien m. E. sich aus den Kernbestandteilen des Marxismus ergeben müssten.
Ich sehe solche Fragen:
Ist es richtig, dass dem Kapitalismus die Trennung der menschlichen (Arbeitskraft) von der sachlichen Produktionsbedingungen zugrunde liegt, dass dies die Basis für die Klassenspaltung der Gesellschaft und den Klassenkampf ist, dass dieses Kapitalverhältnis durch die Reproduktion des Kapitals immer wieder neu hergestellt wird, dass also das Wort Rosa Luxemburgs unverändert gilt: Das letzte Wort der Akkumulation des Kapitals sei die Notwendigkeit der proletarischen Revolution? Revolution sagte sie, nicht Sozialreform!
Ist es richtig, dass dieser Bruch, um die Scheidung von Arbeitskraft und Produktionsmitteln zu überwinden, die Errichtung einer entsprechenden Staatsmacht und einer diesem Ziel dienenden Ordnung des Gemeineigentums erfordert?
Ist es richtig, dass der heutige Kapitalismus das Monopol als die bestimmende Eigentumsform besitzt, dass die Kennzeichnung dieses Kapitalismus durch Lenin als monopolistisch, als Imperialismus nach wie vor zutreffend ist?
Ist es richtig, dass das sozialistische Ziel nicht erreicht werden kann, wenn es nicht gelingt, die übergroße Mehrheit des arbeitenden Volks für dieses Ziel zu gewinnen?
Ist es möglich, diese Mehrheit zu gewinnen ohne eine Partei, die ihre vorrangige (!) Aufgabe darin sieht, die Massen des Volkes vom ideologisch-politischen Gängelband des Kapitals und seiner Verfechter zu befreien und so dafür zu wirken, dass sich die Ideen des Sozialismus immer mehr in der arbeitenden Bevölkerung ausbreiten, in ihr hegemonial werden?
Ist die These Gramscis richtig, dass der Übergang vom Stellungs-zum Bewegungskrieg, also dazu, die Machtfrage zu stellen, nicht möglich ist, ohne zuvor die ideologisch-kulturelle Hegemonie errungen zu haben, dass dies also die Voraussetzung (!) für den Erfolg im Kampf um die Macht ist?
Solche Fragen sind als Kriterien geeignet, um im Meinungsstreit in der DKP zu gesicherten Urteilen zu kommen. Es ist also etwa zu fragen:
Wie steht es um die oben benannten „Thesen“ hinsichtlich solcher Fragen:
Ist die Orientierung an Wirtschaftsdemokratie geeignet, den genannten notwendigen Bruch herbeizuführen? Kann auf der Grundlage dessen, wie die „Thesen“ die Staatsfrage behandeln, die erforderliche neue Staatsmacht erreicht werden? Stimmt die Kennzeichnung des heutigen Kapitalismus in den „Thesen“ mit der Imperialismus-Analyse überein? Wenn nicht, warum ist das so? Ist die Konzeption der Parteifrage in den „Thesen“ von der Art, dass die Partei ihre Grundaufgaben lösen kann?
Robert Steigerwald

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