Sonntag, 4. März 2012

Neue Zahlenspiele des ISW – diesmal von Fred Schmid

In früheren Blogbeiträgen habe ich mich bereits mit der Zahlenakrobatik von Walter Listl beschäftigt. In der UZ vom 2.3.2012 liefert nun Fred Schmid, auch vom Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung (ISW), ein neuerliches Beispiel für den nicht sehr sorgfältigen Umgang mit empirischem Material, der an den Tag gelegt wird, wenn es darum geht, Kritik an den umstrittenenen Theorien des ISW mit Zahlen zuzuschütten, statt zu widerlegen.
Fred Schmid stellt ein neues ISW-Heft vor. Dabei zeigt er auf, dass in den kapitalistischen Ländern der öffentlichen Verschuldung eine private Reichtumsexplosion gegenüber steht. Er beschreibt dies als ein globales Phänomen. So weit so gut. Leider bemüht er sich dann wieder einmal, eigenständige Interessen, Handlungen und Strategien der deutschen Bourgeoisie, ihrer Konzerne und Banken sowie des Staates als für die heutige Ökonomie nicht mehr „strukturbestimmend“ zu deklarieren, das heißt, sie hinter einer angeblichen Kontrolle der DAX-Unternehmen durch ausländische Investoren verschwinden zu lassen.
Die Dominanz Berlins bei der Unterwerfung der Eurozone unter die „Stabilitätskultur“ des deutschen exportabhängigen Monopolkapitals dürfte auch Fred Schmid nicht entgangen sein, und sie zeigt, dass sehr wohl von eigenständigen Interessen und einer eigenständigen Rolle der deutschen Bourgeoisie die Rede sein muß. Ebenso zeugt davon der Streit bei den G20-Gipfeln, auf denen Merkels Vorgehen regelmäßig der Kritik Londons, Washingtons und der Schwellenländer ausgesetzt ist.
Fred Schmid gönnt sich ein paar kleine polemische Seitenhiebe gegen meine Arbeiten zur Struktur der herrschenden Klasse („Juso-Ideologie der 70er Jahre“), von denen nicht eine jemals in der UZ zu lesen war, nicht einmal auszugsweise. Ob er mit der „Juso-Ideologie“ die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus meint? Sie verschwand nach 1989, meines Erachtens voreilig, in der Versenkung, wozu auch das ISW seinen Beitrag geleistet hat. Der SMK gehört dennoch zum monopolkapitalistischen Stadium des Kapitalismus und wurde durch das neoliberale Regime nicht ersetzt, sondern hat sich an die Weltmarktorientierung angepaßt. Die nationalen Bankenrettungen in der Krise haben die „Deutschland-AG“ übrigens auch in den Augen der bürgerlichen Wirtschaftspresse wieder aufleben lassen.
Fred Schmid bestreitet eine gemischte Struktur der herrschenden Klasse, bestehend aus Privatmanagern, großen Privateigentümern und staatlichen Beauftragten, wie sie in verschiedenen empirischen Studien für die Konzernlandschaft der BRD untersucht worden ist. Eine Unterscheidung von Eigentum und Kontrolle, die mit der Entstehung von Großunternehmen und des Finanzkapitals einhergeht und für die gesamte monopolkapitalistische Entwicklung typisch ist, nimmt Fred Schmid nicht vor. Wie Paul Windolf, der den Begriff des Finanzmarktkapitalismus geprägt hat, scheint auch Fred Schmid anzunehmen, dass durch die „neuen Eigentümer“, die Fonds, die Trennung von Eigentum und Verfügung und damit die „Managerkontrolle“ aufgehoben worden sei. Das sind theoretische Fehlschlüsse, zu denen ich an anderer Stelle argumentiert habe.
Es fragt sich natürlich, wieso nur die „neuen Eigentümer“ und nicht auch die alten, die privaten Großaktionäre und Milliardärsclans von der neoliberalen Restrukturierung profitiert haben sollen. Nachdem er „Herrschaft der Manager“ und „Manager-Kapitalismus“ ins Reich der Juso-Ideologie verwiesen hat, behauptet Fred Schmid: „Herrschaft der Unternehmerdynastien und Familienclans – das war realer Kapitalismus, Familienkapitalismus des 19. und gut der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Strukturbestimmend ist dieses Clan-Kapital heute nicht mehr. Seine Bedeutung hat in den vergangenen 40 Jahren rapide abgenommen.“ Falsch. Unter den 100 größten Konzernen in Handel und Gewerbe war der Umsatzanteil der clan-kontrollierten 2007 doppelt so hoch wie 1985 und selbst im Vergleich zu 1958 stieg ihr Anteil von 22 auf 36,5%. Dagegen lag der Umsatzanteil ausländisch kontrollierter Unternehmen seit 1958 konstant bei etwa 18%. (Tabelle)
Es ist das Zauberwörtchen „strukturbestimmend“, mit dem ein sorgfältiger Umgang mit Zahlenmaterial vom Tisch gewischt wird. Die Struktur und Entwicklungslogik des Kapitalismus ist jedoch komplexer als uns suggeriert werden soll, wenn eine bestimmte Tendenz als „strukturbestimmend“ verabsolutiert wird und alle Gegentendenzen unter den Tisch gefegt werden. Dabei biegen sich dann die Zahlen wie die Balken. Nehmen wir die Deutsche Bank: Wie kann man bei einer Aktionärsstruktur nach Ländern aufgeschlüsselt mit 47% deutschen Aktionären (2010), gefolgt von 13% US-Aktionären, gefolgt von kleineren Kontingenten von Aktionären aus der Schweiz, Luxemburg, Liechtenstein, Österreich und zahlreichen anderen Ländern zu dem Schluss kommen, die Deutsche Bank werde von ausländischen Investoren kontrolliert? Zu diesem Schluss, den das ISW zieht, kann man nur kommen, wenn man über die 47% deutscher Investoren schlicht und einfach "hinwegsieht". Der Homepage der Deutschen Bank ist übrigens zu entnehmen, dass 2011 wieder 52% der Aktionäre Inländer waren.
In der Erwiderung auf Walter Listl hatte ich 2010 u.a. geschrieben: Auch die Deutsche Bank sieht Walter Listl in der Hand von Auslandseigentümern. Das scheint allerdings von Jahr zu Jahr zu wechseln, wenn man die Aktienstreuung zum Maßstab nimmt. Als 2008 die Deutsche Post Großaktionärin der Deutschen Bank war, waren 55% der Aktien in "deutscher Hand". Die Post verkaufte im Sommer 2009 ihren 8-Prozent-Anteil wieder. Doch auch ohne Post wurden auf der Jahreshauptversammlung 2010 fast alle Beschlüsse des Managements mit mehr als 90% Ja-Stimmen verabschiedet, bis auf den zur Vergütung der Spitzenmanager. Der bekam nur 58% Ja-Stimen, übrigens genauso viele wie bei der Commerzbank mit dem Staat als Hauptaktionär. An den Machtverhältnissen scheint sich durch den Ausstieg der Deutschen Post also nichts geändert zu haben. Dreiviertel der Aktionäre der Deutschen Bank sind institutionelle Anleger (Versicherungen, deren Fonds, Publikums- und Spezialfonds anderer Banken, Anlegervereinigungen, Kirchen, etc.) 46% waren 2009 deutsche Investoren (2008: 55%, 2007: unter 50%).
2012 schreibt Fred Schmid über die Aktionärsstruktur der Deutschen Bank: „Insgesamt ist der Auslandsanteil auf 54% (2008:45%) gestiegen [von 2008-2009, BL], dem ein entsprechend auf 46% verringerter Inlandsanteil gegenübersteht. Erhöhung bzw. Verringerung um 9 Prozentpunkte binnen eines Jahres, das läßt die Dynamik erahnen (2010: 53% Ausland, 47% Inland).“ Da geht mal wieder die „strukturbestimmende“ Dynamik mit ihm durch, denn der Auslandsanteil hat sich 2010 lediglich auf das Niveau vor dem Einstieg der Deutschen Post 2008 wieder eingependelt. Die angebliche Dynamik erweist sich als bloßer Wunsch nach Bestätigung der eigenen Theorien. „Übersehen“ hat das ISW dagegen die klassisch staatsmonopolistische Aktion 2008, bei der die Bundesregierung als Hauptaktionärin der Deutschen Post der stark vom Investmentbanking abhängigen Deutschen Bank die Postbank zur Stärkung ihres zweiten Standbeins im Massengeschäft zugeschoben hat.
Dass die Post ihre 8% von der Deutschen Bank wieder abgezogen hat, gehört zu den mit der Weltmarktorientierung verbundenen Entflechtungen und Verschlankungen auf nationaler Ebene, die den Konzernen mehr Flexibilität in der internationalen Expansion verleihen und deshalb durch die Steuerfreistellung von Beteiligungsverkäufen unter Rot/Grün aktiv vom Staat gefördert wurden.
Tatsächlich schwankt bei der Deutschen Bank der Anteil inländischer Aktionäre seit 2000 permanent zwischen 46 und 55 Prozent und der Auslandsanteil entsprechend. 2001 betrug das Verhältnis Inland/Ausland bereits 47/53 (genau wie 2010)  und 2011 ist es wieder bei 52/48 zugunsten der Inländer. Ein Trend in die eine oder andere Richtung läßt sich für die Zeit nach 2000 nicht in diese Daten hineinlesen. 
Offenbar genügen der deutschen Finanzoligarchie 45% Aktien in deutscher Hand, um die Deutsche Bank weiterhin zu kontrollieren. Die Vorfälle bei der Deutschen Börse 2005 wurden als Warnschuss beherzigt.

4 Kommentare:

Lesenswürdigkeiten hat gesagt…

Es wäre aber auch ganz interessant zu wissen, ob und wie weit die Fonds etc. die Geschäftspolitik beeinflussen, ob sie auf die Geschäftsstrategie Einfluss nehmen.
Eigentum und Kontrolle sind, wie hier schön beschrieben ist, verschiedene Dinge. Deshalb: Wer kontrolliert und beeinflusst die Geschäfte in welcher Weise?

BL hat gesagt…

Kontrolle von Konzernen bedeutet lediglich, die Macht, das Management ein- oder abzusetzen. Dort, wo es Großaktionäre gibt, die auf der Hauptversammlung auf eine Mehrheit kommen, üben sie diese Macht aus. Die Manager werden ihr operatives Handeln nicht im einzelnen, aber bei besonders wichtigen Entscheidungen mit ihnen konsultieren.
Dort, wo Streubesitz überwiegt, gibt es eine Konsultation wichtiger Entscheidungen mit dem Staat. Zumal jede Menge Aufsichtsbehörden den Managern bei wichtigen Vorhaben einen Strich durch die Rechnung machen können, etwa Wettbewerbsbehörden oder bei der Deutschen Bank kürzlich die BAFin. Dass das neue Führungsduo Jain/Fitschen gleich einen Einspruch der BAFin kassierte, wurde in der Wirtschaftspresse als "unprofessioneller Patzer" registriert, da sie sich nicht vorher mit der BAFin konsultiert hätten.
Es gibt also ein ganzes Geflecht von Einflußnehmern bei wichtigen Entscheidungen. Beim operativen Geschäft haben die Manager jedoch freie Hand.
Man kann sagen, Konsultationen werden dann nötig, wenn Risiken eingegangen werden, die bei einem Scheitern von den großen Eigentümern und vom Staat mitgetragen werden müssen.

superbernde hat gesagt…

Der Begriff "Manager-Kapitalismus" ist doch viel zu ungenau, besonders ihre Abgrenzung zu den Familienunternehmen ist nicht hilfreich. Auch wenn die Familienclans die Hauptaktionäre sind und Personalfragen entscheiden und strategische Ziele festlegen, sind doch auch immer wieder Manager der verschiedenen Ebenen an der Entscheidungsfinden und -vorbereitung beteiligt und haben einen gewissen Anteil daran. Ins Politische übersetzt, würde es heißen, die Hauptaktionäre (z.B. Unternehmerfamilien) haben die Leitlinien- und Personalkompetenz. Aber ihre Entscheidungen werden wiederum von internen und externen Akteuren beeinflusst. Kann man dann den Managerkapitalismus und den Familienclankapitalismus überhaupt noch gegenüberstellen?
In einem Buch über britische Investmenttrust konnte ich aber auch schon lesen, dass sie z.B. keinen Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen sondern nur die Dividende abschöpfen wollen. Natürlich werden sie dort investieren, wo mehr Rendite erzeugt wird und wird auch einen Einfluss auf die Geschäftspolitik haben.
Aber ob man so weit gehen kann, dass sie z.B. die Schaffung der EU als Großraumwirtschaft bewusst fördern oder ablehnen? Oder wenn sich die BRD anschickt, den Donauraum unter Kontrolle zu bringen und für die deutsche Wirtschaft zu erschließen, kann man dann sagen, dass die großen Investmentgruppen solche Prozesse bewusst steuern? Kleinere, z.B. deutsche Wirtschaftsvertreter tun dies, ist das aber auch bei Fonds so?
Das isw fällt auf den wissenschaftlichen Stand des us-amerikanischen Historikers Charles A. Beard zurück. Dieser hatte noch Jahrzehnte nach Marx und Jahre nach der Oktoberrevolution versucht zu zeigen, dass sich die Schaffung und Inhalt der us-amerikanischen Verfassung direkt aus der ökonomischen Zusammensetzung der US-Bevölkerung ableiten lässt. Er verfolgt quasi einen mechanistischen Ansatz. Ähnlich ist es so mit dem isw. Sie versuchen direkt aus der Eigentümerstruktur die Handlungen der Konzerne abzulesen, ohne die Herrschaftsstrukturen innerhalb der Konzerne zu reflektieren.

BL hat gesagt…

Mechanistisches Denken sehe ich beim ISW auch am Werke. Ansonsten kritisiere ich, dass sie von transnationalen Konzernen auf transnationale Eigentümer und eine transnationale Bourgeoisie schließen, den Nationalstaat ausschließlich auf den "Wettbewerbsstaat" reduzieren, der mit anderen Wettbewerbsstaaten konkurriert, während die TNKs über den Nationalstaaten stehen und kooperieren. Die Welt wird aus der Vogelperspektive von den mächtigen "Herren des Geldes", den Fonds-Managern regiert. Das grenzt schon an eine Art von Verschwörungstheorie.
Real sind die Klassenverhältnisse doch von Staat zu Staat verschieden, je nach Kräfteverhältnis im Klassenkampf, das sich historisch herausgebildet hat. Die Konkurrenz erzwingt zwar Anpassung, hat aber zugleich auch Ungleichmäßigkeit der Entwicklung zur Folge. Die herrschende Klasse bei uns setzt sich aus mehreren Gruppen zusammen, einem Nebeneinander von Privatmanagern, staatlichen Beauftragten und Milliardärsclans. Es gab nach 1945 mehrfach Untersuchungen dazu. Der neoliberale Umbau hat die deutsche Bourgeoisie nicht in Luft aufgelöst. Sie hat ihn zusammen mit dem Staat betrieben, auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Und vor allem hat sie davon profitiert: Es gibt eine Vermögensexplosion bei den Reichen.