Sonntag, 9. Dezember 2012

Zur kommunistischen Parteikonzeption

A) Zunächst einiges zum Zustand der kommunistischen Bewegung:

Es gibt sie noch, punktuell hat sie auch Erfolge, aber insgesamt hat sie sich noch nicht von der historischen Niederlage von 1989 erholt, vor allem in Europa nicht. Auf der einen Seite verzeichnen wir in Südeuropa eine vorwärtstreibende Rolle der KPs: in Griechenland, Spanien, Portugal. Wir konnten einen beeindruckenden 19. Parteitag der PCP am vorigen Wochenende über Internet verfolgen. Ebenso konnten wir in der Woche davor uns über den KPÖ-Wahlerfolg in Graz freuen.

Das Verhältnis zwischen der KPÖ-Graz und der KPÖ-Wien spiegelt zugleich die tiefen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der kommunistischen Bewegung, denn ein Anlass für ihr Auseinanderdriften war der Streit um das Verhältnis zur EU und zur EL-Mitgliedschaft der KPÖ. Die Dialektik von Nationalem und Internationalem ist eine von mehreren Fragen, in denen die kommunistische Bewegung noch keine gemeinsamen Antworten gefunden hat. Das gilt vor allem, wenn es darum geht, diese Dialektik auf die konkrete Situation in Europa anzuwenden.

Joe Cottenier, von der PdA Belgien verweist auf drei verschiedene Europa-Strategien kommunistischer Parteien: „Es gibt die Parteien, die eine Rückkehr bzw. Stärkung der nationalen Souveränität als Zwischenschritt verteidigen, um so zu besseren Bedingungen für die sozialistische Revolution zu kommen. Es gibt die Parteien, die unter kapitalistischen Bedingungen die Forderung nach nationaler Souveränität ablehnen, aber sich die Revolution als eine nationale Angelegenheit vorstellen, als Weg, die europäische Union zu verlassen und ein anderes Europa aufzubauen." Und schließlich drittens, gebe es die, die eine sozialistische Revolution nur auf europäischer Ebene oder in mehreren Ländern gleichzeitig für möglich halten.1

Die PdA selbst ist ein Beispiel dafür, dass die kommunistische Weltbewegung heute ex-maoistische oder ex-trotzkistische Parteien einschließt. Ihre Neuformierung ist also auch ein Schmelztiegel aller Übriggebliebenen und Versprengten, die sich weiterhin zum Kommunismus bekennen, was zusätzliche Reibungen oder Verständnislosigkeiten mit sich bringt. Mir scheint, dass der Prozess der Neuformierung heute ähnlich tiefgreifend ist, wie die Herausbildung der KPs nach dem 1. Weltkrieg und dem Scheitern der II. Internationale.

Das Niveau der theoretischen Arbeit und Ausstrahlung, das in den 60er, 70er Jahren erreicht worden war, mit der SMK-Theorie, eigenen Instituten, weltbekannten Theoretikern, Einfluß bis in die Sozialdemokratie – das ist etwas, wovon wir heute weit entfernt sind. Die dafür nötigen Ressourcen sind weitgehend zerschlagen, von einer zielführenden, internationalen Theoriediskussion kann keine Rede sein, trotz redlicher Anstrengungen einzelner Parteien. Der in linken Diskussionen dominierende „westliche Marxismus“ zerfällt in eine Reihe etablierter Schulen und Richtungen, wie die der Regulationstheorie, der Neogramscianer, der Wertkritik. Im „Arbeiterbewegungsmarxismus“ überwiegen Verunsicherung, Selbstzweifel und die Bereitschaft, klein beizugeben.

Auch in Bezug auf die Parteifrage wurden, wie auf anderen Gebieten, aus der historischen Niederlage nicht die gleichen, sondern zum Teil diametral entgegengesetzte Schlußfolgerungen gezogen. Die Bandbreite reicht hier von der CPUSA bis zur KKE. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus haben fast alle KPs eine Phase durchgemacht, in der sie sich über ihre Existenzberechtigung oder Nichtexistenzberechtigung Rechenschaft abgelegt haben. Bei einigen gab es massive Austritte (wie bei der DKP), andere lösten sich ganz auf.2

Als zutreffende Zusammenfassung der Lage kann nach wie vor die Aussage eines PCP-Vertreters gelten, wonach „im gegenwärtigen Stadium, das immer noch von den Folgen der Niederlage des Sozialismus geprägt ist … zusammen mit einem langsamen Prozess der Erholung, ausgedehnte Erscheinungen der Degeneration und Selbstliquidierung der kommunistischen Bewegung fortbestehen.“3

Der noch immer prekäre Zustand der kommunistischen Bewegung spiegelt sich bei uns als Streit von „Strömungen“ wider: Alle Themen, die zwischen unseren „Strömungen“ umstritten sind, sind auch in anderen KPs und zwischen den KPs umstritten. Sichtbar wird dies, zum Beispiel, wenn man die drei verschiedenen Plattformen zum nächsten FKP-Parteitag vergleicht, der Anfang 2013 kurz vor unserem 20. Parteitag stattfinden wird.

B) In der DKP hat sich der Streit um die Parteiauffassung besonders zugespitzt:

Entzündet hat er sich an der Polemik gegen den Begriff des „Hineintragens“ von sozialistischem Klassenbewußtsein in die Arbeiterklasse. Die Polemik wurde zuerst in den Thesen des damaligen Sekretariats vorgetragen: „Die Erfahrungen zeigen, dass Klassenbewusstsein nicht durch eine Praxis entsteht, die mit dem vereinfachten Bild vom ‘Hineintragen des Klassenbewusstseins’ umschrieben werden kann. Dahinter steht eine viel ... kompliziertere Aufgabe marxistischer Theorie und der Partei. Diese besteht nicht ... in einer platten ‘ideologischen Aufklärung’, deren Inhalte von vorneherein feststehend sind und die man also annehmen kann oder auch nicht, sondern in der Kommunikation und Systematisierung von unterschiedlichen Erfahrungen und Wissen.”4
 
In seinem Aufsatz für ein Organ der KP des Irak hat Leo Mayer ergänzt, es lasse „sich auch nicht mehr das traditionelle, sozialdemokratische, von Lenin im Hinblick auf die rückständigen Verhältnisse Russlands sogar radikalisierte Bild einer kommunistischen Partei aufrechterhalten, deren Funktion es sei, durch Agitation, Propaganda und Organisation einer unaufgeklärten Masse das sozialistische Bewusstsein 'von außen' (bei)zubringen. ... Klassenbewusstsein wird nicht in die Massen hineingetragen, sondern erfordert die selbstständige geistige Arbeit ganz konkreter Menschen.“5

In beiden zitierten Aussagen geht es sowohl um Methoden der Vermittlung marxistischer Theorie in der Arbeiterklasse als auch um die Rolle der Kommunistischen Partei als Trägerin dieser Vermittlung. Dass man über die Methoden immer neu nachdenken muss, ist sicher unumstritten. Nicht infrage gestellt werden darf allerdings das, was geradezu der Daseinszweck einer kommunistischen Partei ist: dass sie nämlich dazu da ist, die marxistische Theorie mit der Arbeiterbewegung zu verbinden.

Dass zu ihrer organisierenden Rolle auch die Vermittlung des wissenschaftlichen Sozialismus gehören muß, dass sie in dieser Hinsicht die „fortgeschrittensten Elemente“ der Klasse in ihren Reihen organisieren sollte, genau das meinten Kautsky und Lenin, wenn sie von der Notwendigkeit des ‚Hineintragens‘ des wissenschaftlichen Sozialismus sprachen. Das meint Engels, wenn er von der Notwendigkeit einer „besonderen Partei“ des Proletariats, „getrennt von allen anderen und ihnen entgegesetzt, einer selbstbewußten Klassenpartei“ spricht.6

Davon spricht das Manifest, wenn es die Kommunisten als den „entschiedensten, immer weiter treibenden Teil“ der Arbeiterbewegung charakterisiert, der in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung aufzeige, der „theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der Bewegung voraus“ habe.7 Das meint Gramsci, der von „organischen Intellektuellen“ spricht, über die jede soziale Klasse verfügt und über die auch die Arbeiterklasse in Form ihrer eigenständigen Klassenpartei, der KP, verfügen muß.

Natürlich muß dieses selbständige Klassenbewußtsein, die Einsicht in die Bedingungen, durch ständige Erforschung und Reflexion der gesellschaftlichen Praxis immer aufs Neue erworben werden. Es entsteht nicht spontan, auch nicht bei „Gefühlskommunisten“. Spontan können in der tagtäglichen Interessenvertretung und im gewerkschaftlichen Kampf nur Keimformen von Bewußtheit entstehen, an die angeknüpft werden muß. Doch die nötige tiefere Einsicht in die Zusammenhänge erfordert Studium und kollektive Diskussion, und beide sind unverzichtbarer Bestandteil der Tätigkeit einer kommunistischen Partei.

Warum das so ist, hat Lenin auf den Punkt gebracht: Spontan drängt sich die bürgerliche Ideologie auf, weil diese „ihrer Herkunft nach viel älter ist als die sozialistische, weil sie vielseitiger entwickelt ist, weil sie über unvergleichlich mehr Mittel der Verbreitung verfügt.“8 Diese Ausgangslage hat sich durch die Weiterentwicklung der Massenmedien eher verstärkt als abgeschwächt, weshalb die Arbeiterklasse in ihrem Emanzipationskampf weder auf eigenständige Organisation noch auf eigene Medien verzichten kann.

C) Sechs grundlegende Charakterzüge für die Identität einer KP:

Nach 1990 hat Alvaro Cunhal 6 grundlegende Charakterzüge für die Identität einer kommunistischen Partei benannt, die man gut als eine Art Meßlatte mit der eigenen Praxis vergleichen kann. Danach hat eine KP:

1. Eine von den Interessen, der Ideologie, von Druck und Drohungen der Kapitalkräfte völlig unabhängige Partei zu sein.
„Es handelt sich um eine Unabhängigkeit der Partei und der Klasse, die für die Identität einer kommunistischen Partei ein konstitutives Element bildet. Diese Unabhängigkeit beweist sich in der eigenständigen Aktion, in den eigenen Zielen und der eigenen Ideologie.
Der Bruch mit diesen wesentlichen Charakterzügen stellt niemals ein Zeichen von Unabhängigkeit dar, sondern ist im Gegenteil ein Ausdruck des Verzichts auf dieselbe."

2. Eine Partei der Arbeiterklasse, der Werktätigen im Allgemeinen, der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu sein.
„Je nach der sozialen Struktur in jedem einzelnen Land können auch die soziale 
Zusammensetzung der Parteimitgliedschaft und der sozialen Massenbasis der Partei grosse Unterschiede von einer Partei zur anderen aufweisen. Wesentlich ist in jedem Fall, dass eine Partei sich nicht in sich verschliesst, dass sie sich nicht gegen innen kehrt, sondern sich eng an die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen bindet. ...“

3. Eine Partei mit einem demokratischen Innenleben und einer einheitlichen zentralen Leitung zu sein.
...
4. Eine Partei zu sein, die zugleich internationalistisch ist und die Interessen ihres Landes verteidigt.
„Im Gegensatz zu dem, was in einer bestimmten Epoche in der kommunistischen Bewegung vertreten wurde, besteht kein Widerspruch zwischen diesen beiden Elementen der Orientierung und Aktion von kommunistischen Parteien. ...“

5. Eine Partei zu sein, die als ihr Ziel den Aufbau einer Gesellschaft definiert, die weder Ausgebeutete noch Ausbeuter kennt, einer sozialistischen Gesellschaft.
...
6. Trägerin einer revolutionären Theorie zu sein: des Marxismus-Leninismus, der nicht nur die Erklärung der Welt möglich macht, sondern auch den Weg zu ihrer Veränderung aufzeigt.

[Cunhals Erläuterungen zu diesem Punkt will ich vollständig zitieren:]

„Alle verleumderischen antikommunistischen Kampagnen Lügen strafend, ist der Marxismus-Leninismus eine lebendige, antidogmatische, dialektische, schöpferische Theorie, die sich weiter anreichert durch die Praxis und durch die Antworten auf neue Situationen und Erscheinungen, die zu geben sie berufen ist. Sie treibt die Praxis dynamisch an und bereichert und entwickelt sich schöpferisch anhand der Lektionen der Praxis.

Marx im Kapital und Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei analysierten und definierten die grundlegenden Elemente und Wesensmerkmale des Kapitalismus. Die Entwicklung des Kapitalismus unterlag indessen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer wichtigen Abänderung. Die Konkurrenz führte zur Konzentration und die Konzentration zum Monopol. Lenin und seinem Werk Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus verdanken wir die Definition des Kapitalismus am Ende des 19. Jahrhunderts.

Diese Entwicklungen der Theorie sind von ausserordentlichem Wert. Und ebenso hoch zu veranschlagen ist der Wert der Erforschung und Systematisierung der theoretischen Erkenntnisse. In einer Synthese von ausserordentlicher Klarheit und Strenge erläutert ein berühmter Artikel von Lenin die Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus.

In der Philosophie, der dialektische Materialismus, der im historischen Materialismus seine Anwendung auf die Gesellschaft findet. In der politischen Ökonomie, die Analyse und Erklärung des Kapitalismus und der Ausbeutung, und die Mehrwerttheorie, die den Eckstein zum Verständnis der Ausbeutung bildet. In der Theorie des Sozialismus, die Definition der neuen Gesellschaft durch die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.

Im Lauf des 20. Jahrhunderts und in Begleitung der gesellschaftlichen Transformationen kamen zahlreiche neue theoretische Überlegungen hinzu. Jedoch breit gestreute und widersprüchliche Überlegungen, welche es schwierig machten zu unterscheiden, was theoretische Entwicklungen sind und wo es sich um revisionistische Abweichungen von den Grundsätzen handelt.

Daher die zwingende Notwendigkeit von Debatten ohne vorgefasste Meinungen und verabsolutierte Wahrheiten, wobei es nicht um die Suche nach Schlussfolgerungen geht, die für definitiv gehalten werden, sondern um die Vertiefung der gemeinsamen Reflexion.“

D) Zur Frage der Strömungen/Fraktionen:

Lenin definiert Fraktionen als die „Entstehung von Gruppen mit besonderen Plattformen und dem Bestreben, sich bis zu einem gewissen Grade abzuschließen und eine eigene Gruppendisziplin zu schaffen“.9 Die Übergänge zwischen Strömungen und Fraktionen sind nach dieser Definition fließend. Bei uns sind vor dem 19. Parteitag mit den Thesen des alten Sekretariats und mit dem Papier Den Gegenangriff organisieren! Plattformen in Erscheinung getreten, die „in einem Spannungsverhältnis zum Parteiprogramm“ stehen, wie der 19. Parteitag in Bezug auf die Thesen formulierte, die zumindest aber eine entgegengesetzte Auslegung desselben verkörpern. Inhaltlich korrespondieren beide Plattformen mit Positionen, über die auch in anderen kommunistischen Parteien gestritten wird.

Meine These ist, dass wir es hier nicht mit einem relativ schnell „vorübergehenden Problem“ zu tun haben, sondern mit einer Frage, die durch die historische Situation der kommunistischen Bewegung und die zahlreichen unbewältigten theoretischen Herausforderungen, vor denen sie steht, bedingt ist. Daher wäre es in meinen Augen auch sinnlos, das Problem administrativ lösen zu wollen. Weder ein Zudecken der widersprüchlichen Auffassungen in den Parteimedien, noch Ausgrenzungen oder Abspaltungen werden die Strömungen beseitigen. Vielmehr müssen wir lernen, mit den Widersprüchen umzugehen, ohne uns zu spalten.

Für die DKP ist die Problemstellung nicht gänzlich neu: Wir hatten Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre bereits die Auseinandersetzung mit der „Erneuererströmung“. Die damalige Parteiführung hat die Gründe dafür, dass eine Strömung entstehen konnte, auch bei sich selbst gesucht, in der jahrzehntelangen, unhinterfragten Praktizierung einer historisch entstandenen, zu starren Auffassung des demokratischen Zentralismus, in Mängeln in der Diskussionskultur, für die sie mitverantwortlich war. Deshalb entstanden damals eine Reihe von Artikeln, die diese Probleme reflektierten. Darunter auch der von Jupp Schleifstein, den wir heute als Schulungsmaterial verwenden.10

Lehren aus unseren früheren Fehlern in der Anwendung des demokratischen Zentralismus sind auch in das heute gültige Statut der DKP eingeflossen: So heißt es bei den Rechten und Pflichten der Mitglieder u.a.: jedes Mitglied könne „einzeln oder in Verbindung mit anderen Mitgliedern politische Positionen, Kritik und Vorschläge entwickeln“ und um Mehrheiten dafür werben. (Art. 1) Das erlaubt Plattformen. Im Teil innerparteiliche Demokratie, Entscheidungsprozesse und Beschlüsse heißt es: „Das wichtigste Mittel, um das einheitliche Handeln der Partei zu erreichen sind die politische Diskussion und die Erarbeitung von Übereinstimmung“. (Art. 3)

Es bleibt richtig, um Einheitlichkeit nicht nur bei der Aktion, sondern auch in der Theorie, Analyse und Weltanschauung zu kämpfen. Das heißt in der Perspektive auch, um die Auflösung der Strömungen zu kämpfen. Strömungen können Indizien für Schwächen in der Kollektivität der Meinungsbildung, in der möglichst breiten Einbeziehung der Mitglieder in die Meinungs- und Willensbildung sein. Treten sie auf, muss die Erarbeitung von Übereinstimmung verstärkt werden. Es kann also kein Sich-Einrichten mit Strömungen geben.

Jedoch halte ich es für eine Illusion, zu glauben, man könne die Strömungen durch administrative Akte zum Verschwinden bringen, wie Ignorierung der Meinungsunterschiede in den Parteimedien, verbale Exkommunizierung oder gar Abspaltung. Dies entspräche einer Strategie der Verfestigung und Eskalation der Differenzen, die in ihren Wirkungen kaum kontrollierbar ist. Eine Spaltung kann eine ohnehin kleine Organisation wie die DKP an den Rand der Selbstliquidierung führen. Für den Umgang mit Strömungen/Fraktionen ist ein Blick in die Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung hilfreich.

Lenin hielt nach der Revolution 1905 eine einheitliche SDAPR mit einem reformistischen Flügel für eine Sache, die bis zur Revolution möglich sei.11 Bolschewiki und Menschewiki, die sich 1903 gespalten hatten, schlossen sich auf dem Vereinigungsparteitag 1906 wieder als SDAPR zusammen. In der Phase erneuter Reaktion kam es nach 1908 zu tiefgehenden Differenzen über die Notwendigkeit einer illegalen Parteiorganisation. Dabei bemühte sich Lenin um das Bündnis mit „parteitreuen Menschewiki“ (wie Plechanow), die wie die Bolschewiki eine illegale Parteiorganisation für nötig hielten. Lenin wollte eine gemeinsame Front gegen die Strömung der „Liquidatoren“ schaffen.

Es war nicht die Revolution, sondern der erste Weltkrieg, der die Spaltung unvermeidlich machte. Alle Kräfte gruppierten sich neu, je nach ihrer Stellung zum Krieg. In Deutschland gingen USPD und KPD aus der Spaltung der SPD hervor. In Rußland hatte die SDAPR/B großen Zulauf. Es gab vor und nach der Oktoberrevolution bei den Bolschewiki zu jeder Zeit Strömungen und Differenzen zu bestimmten Fragen, sei es die Auseinandersetzung um Fragen der Erkenntnistheorie oder die über das Abkommen von Brest-Litowsk.

Zu einem Fraktionsverbot kam es auf dem 10. Parteitag der KPR(B) 1921, das heißt in einer äußerst kritischen Bürgerkriegssituation, kurz nach dem „Kronstädter Matrosenaufstand“ von 1920. Aber selbst auf dem Parteitag, auf dem es beschlossen wurde, war Lenin dafür, dass Vertreter der aufgelösten Fraktionen in der Führung repräsentiert waren.12 Erst viel später wurde ein unter spezifischen historischen Umständen nötiges, zeitweiliges Übergewicht des Zentralismus gegenüber der Demokratie zur Norm erklärt. Erst diese Erstarrung in der Parteikonzeption ermöglichte eine Pervertierung des demokratischen Zentralismus.13

E) Fazit:

In der DKP ist die gegenwärtige Aufgabe: Erhalt der Organisation auf der Basis ihres marxistischen Programms, Sicherung ihrer Überlebensfähigkeit, Vermeidung einer Spaltung. Als Alternative zur Spaltung gibt es nur den Weg kollektiver Diskussion, des Kampfes um die Köpfe. Auch dies läuft nicht spontan. Die Leitungen sind gefordert, die Diskussion zu organisieren, parallel zur gemeinsamen politischen Aktion. Damit müßten sie bei sich selbst beginnen: Wichtige Diskussionen im Sekretariat des PV sollten in den Medien der Partei transparent und nachvollziehbar gemacht werden, mit Argumenten und Gegenargumenten, die zu Beschlüssen oder ihrer Ablehnung führten; ebenso: wichtige Diskussionen und Beschlüsse des Parteivorstands, zwischen PV und Bezirken, der Bezirksvorstände.

Eine Auflösung festgefahrener Fronten zugunsten von mehr Kollektivität ist kaum denkbar, wenn nicht zumindest ein Teil der involvierten Führer der entgegengesetzten Strömungen, dabei mitwirken. Die Bereitschaft dazu, sollte zu den Kriterien für die Wahl künftiger Führungsmitglieder gehören. Für falsch halte ich die auf facebook geäußerte Meinung, nur eine „homogene Führung“ sei arbeitsfähig. Wir brauchen keine homogene, sondern eine zu konstruktiver kontroverser Diskussion, zu Kollektivität und Beschlußdisziplin fähige Führung.

Auf absehbare Zeit kann nach meinem Dafürhalten nur eine „gemischte Führung“ die Partei zusammenhalten, am Besten, wenn es keine im vorhinein feststehende Mehrheit einer Fraktion gibt. Dadurch gäbe es einen Zwang, durch überzeugende Argumente zu Entscheidungen zu kommen, und nicht, indem weiterhin eine bestimmte Gruppe, deren Mehrheit von vornherein gegeben ist, „durchregiert“. Eine offene Frage ist, ob es genügend Kandidaten und Kandidatinnen gibt, die sich der Polarisierung durch die zwei entgegengesetzten Strömungen entziehen können und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Und letztlich entscheiden natürlich immer die Delegierten des Parteitags.

(Einleitungsreferat von Beate Landefeld auf einem Bildungsabend der DKP Münster am 3.12.2012)

1Joe Cottenier, Der entscheidende Kampf findet nicht in einem einzigen Land statt. UZ 2.11.2012
2Einige Berichte, wie dies von einzelnen KPs bewältigt wurde, sind in den Marxistischen Blättern 5/2012.
3Luis Carapinha auf einer internationalen Konferenz in Prag am 15.11.2008. Auf dem 19. PCP - Parteitag im November 2012 hieß es, „dass trotz der Milderung der Zersplitterung und Schwächung der internationalen kommunistischen Bewegung als Resultat des negativen Einflusses der Niederlagen des Sozialismus, Schwächen und Probleme entweder aufgrund der sozialdemokratisierenden Trends, die im Verzicht auf fundamentale Aspekte der kommunistischen Identität bestehen, oder aufgrund von dogmatischen und sektiererischen Trends, die auf die Anwendung standardisierter Modelle sozialen Wechsels zielen, fortbestehen.“ (Rede der Leiterin der internationalen Abteilung beim ZK der PCP, Manuela Bernardino)
4Politische Thesen des Sekretariats des Parteivorstands der DKP. Hrsg. DKP Südbayern, S. 39
5Leo Mayer: Krise, Hegemonie und Tranformation bei Gramsci, in: Gramsci-Broschüre d. DKP Südbayern
6MEW Bd. 37, S. 326
7MEW Bd. 4, S. 474
8W.I. Lenin, Was tun? In: LW Bd. 5, S. 397
9W.I. Lenin, X. Parteitag der KPR(B), in: LW Bd. 32, S. 245
10Josef Schleifstein, Lenins Auffassung der Parteiorganisation als geschichtliches Problem. Marxistische Blätter 6/1990, 1/1991 und 2/1991. (Neu als Broschüre im Neue Impulse Verlag 2012.) Weitere Beiträge: Beate Landefeld, Meinungspluralismus und kommunistische Partei. Marxistische Blätter 7-8/1989; Willi Gerns, Zur Leninschen Parteikonzeption. Marxistische Blätter 5/2012 (Aktualisierte Fassung von 1996)
11Vgl. Schleifstein 1/1991, S. 67 und 69
12Vgl. Gerns, MB 5/2012, S. 23
13Vgl. Gerns, MB 5/2012, S. 27

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

http://www.leftreader.com/Wu_Meihua.html

Wu Meihua
The Marxist Theory of Party Building:

Classics, Innovations and the Communist Party of China

This book is from Chinese academy, which studies the most delicate subject of politics -party theory-; rarely studied as part of the academy. Marxist parties pursuing power for a new society have a long history since 1847 and have encountered many changes since then. Today, the societal and political conditions in some regions have radically changed presenting new challenges for Marxist parties. Inner-party or extra-party coalitions with progressive left-wing forces are full in debate and this imposes them new trials. And, as the argument on the disintegration of proletariat spreads wider Marx's emphasis: "education of the educators" again poses an urgency and adds to the topicality of Marxist party building theories. After radical changes in Soviet Union and Eastern Europe, it has been proved true that the Marxist party is a key link in building the desired socialist society-the emancipation of the proletariat and humans transcending capitalist society-. Often, many defects of post-capitalist societies were attributed to ruling Marxist parties, their rigid structures, bureaucratization, over-centralization and false interpretation of Marx's relevant ideas , after him . Grave policy mistakes or loss of belief were also considered as part of structural degeneration and distorted class links. This book offers a realistic approach to the problems in the history of Marxist parties; the historical development of ideas on Marxist party. The book was written by scholars from Renmin University-China, debating problems with their societal and historical environment ; suggesting courageous trials, innovations, institutionalization, transparency,inner-party democracy, empowerment of members and supervision from outside the Marxist party. And the book is unique as it studies the concept of the ruling Marxist party more comprehensively,and delves into the less debated parts of the party building theory: party's work style and ideological line concepts.

Canut Int. Publishers