Freitag, 13. Juli 2018
Noch wird Merkel im Herrschaftssystem gebraucht
Die CDU/CSU als Hauptpartei des deutschen Monopolkapitals erweist
sich seit Jahrzehnten als fähig, den Konsens einer Bevölkerungsmehrheit dafür
zu organisieren, dass sich beim oberen 1 Prozent Reichtum und Macht ungestört
vermehren. Sie tut es durch ihren Wählereinfluss als „Volkspartei“ und indem
sie mit anderen, im gleichen Sinn „regierungsfähigen“ Parteien koaliert. 69
Jahre Bundesrepublik Deutschland waren 49 Jahre mit CDU-geführten Regierungen.
Zwischen 1969 und 2005 lagen 20 Jahre mit SPD-geführten Regierungen. Nach
Schröders Agenda 2010 verlor die SPD die Eigenschaft einer „Volkspartei“, stark
genug, eine Regierung im Bund zu führen. Damit wurde das von bürgerlichen
Parlamentarismus-Experten als ideal angesehene Wechselspiel zwischen Mitte-Rechts-
und Mitte-Links-Regierungen ausgehebelt. Regierungen auf Bundesebene sind ohne
CDU nicht mehr möglich.
Als 2017 CDU, CSU und SPD zusammen nur noch 53 Prozent hatten,
sah auch die Wirtschaft im parlamentarischen Spielfeld Erneuerungsbedarf. Die frische
Farbkomposition einer Jamaika-Koalition schien die Lösung zu sein. Umso enttäuschter
reagierte man an der Spitze des BDI als Lindner am Ende die Verhandlungen
platzen ließ. BDI-Präsident Kramer nannte es „eine Schande“. Das Handelsblatt sah
ein „Zerwürfnis zwischen FDP und Wirtschaft“. (30.11.2017) Die Wirtschaft liebt
Verlässlichkeit. Lindner war als ein Gegengewicht zu den Grünen und als ein Garant
vorgesehen, um zwei Knackpunkte zu sichern: a) keine „neuen Sozialgeschenke“,
b) kein Nachgeben der Merkel-Regierung gegenüber Macrons Wunsch nach einem
eigenen Budget der Eurozone. Nachdem die FDP abgetreten war, pochte umso lauter
der Wirtschaftsflügel der Union auf diese „Haltelinien“.
Am Tag, an dem Steinmeier die CDU-, CSU- und SPD-Spitzen erneut
auf die GroKo einschwörte, rief der CDU-Wirtschaftsrat auf, „die Option einer
Minderheitsregierung unter Führung von Angela Merkel ernsthaft zu prüfen und
nicht vorschnell erneut in eine ‚große‘ Koalition zu gehen“. Eine GroKo werde
nur um den Preis weiterer unbezahlbarer Leistungsversprechen in der
Sozialpolitik zu bekommen sein. Sie werde die „Volksparteien“ CDU/CSU und SPD
weiter schwächen. Der CDU drohe die Gefahr, bei der nächsten Wahl unter 30
Prozent abzurutschen. „Den Nutzen hätten die Ränder rechts und links.“ Die
weitere „parteipolitische Polarisierung und Spaltung“ widerspreche „den
grundlegenden staatspolitischen Interessen unseres Landes“. (Vgl. UZ 8.12.17)
Von Anfang an lehnte nicht nur der linke Flügel der SPD die GroKo ab. Auch seitens
des Wirtschaftsflügels der CDU/CSU war sie ungewollt.
Seehofers Versuch, bei der Bayernwahl mit Rechtspopulismus den
Status der CSU als „Volkspartei“ zu retten, folgte dem Motto von Strauß, dass
es rechts von der CSU nichts geben dürfe. Sein Coup hatte auch in der
CDU-Bundestagsfraktion Anhänger. Auch dort ist Merkel einigen „zu links“.
Andere sind vehemente Merkelverteidiger. Der Seehofer-Coup vertiefte die Widersprüche.
Schon fordert der Grüne Habeck die CDU auf, den Ballast einer „orbanisierten“ CSU
abzuwerfen. Ein solches Abenteuer lag zwar in der Logik der Eskalation, wurde
aber vermieden. Die Spitzen der Unternehmerverbände schlugen sich in dem
Konflikt klar und eindeutig auf die Seite Merkels. Nach Monaten des mühseligen
Zustandekommens der Regierung wollen sie Stabilität und die Wiederaufnahme der
aktiven deutschen Führungsrolle in der EU. Der Handelsstreit mit den USA, die
Flüchtlingsbewegung, der Fachkräftemangel, die Alterung der Gesellschaft, der
Digitalisierungsrückstand, Defizite in der Wettbewerbsfähigkeit erforderten, so
die Unternehmer, ein gemeinsames Vorgehen der EU, wofür Deutschland als größter
Mitgliedstaat eine besondere Verantwortung trage. Angela Merkel wurde
beschädigt, aber ein Ersatz für sie ist bisher nicht in Sichtweite.
Beate Landefeld (UZ-Kolumne vom 13.07.2018)
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