Montag, 23. August 2010

Ein methodisches Problem

Statt wie Walter Listl von einem “qualitativen Sprung der Internationalisierung des Kapitals, seiner globalen Struktur” zu sprechen, macht es Sinn, von „einer neuen Stufe der Internationalisierung” zu reden, bei der es um die „Vernetzung der Produktionsprozesse und Finanzströme über den ganzen Globus” geht.
Diese Formulierungen des DKP-Programms bleiben genauer und realistischer als die von Walter Listl etwas „locker” verwendeten und interpretierten Zahlen, mit denen nicht das Ganze der Entwicklung betrachtet, sondern die Perspektive unzulässig nur in eine Richtung eingegrenzt wird. Als Gründe für den Internationalisierungsschub und den „Wechsel im Akkumulationsmodell” nennt das DKP-Programm die Produktivkraftentwicklung und die Suche nach einem Ausweg aus den Krisenerscheinungen seit Mitte der 70er Jahre.
Die „qualitativ neuen Entwicklungen” werden im Programm auf die Produktivkräfte (Informations- und Kommunikationstechnologien, Logistik, weltweite Vernetzung der Produktion) bezogen. Wenn Listl von einem qualitativen Sprung spricht, ist zu fragen: Worauf bezieht er sich und von welcher alten in welche neue Qualität wird gesprungen? Bezogen auf bestimmte Gebiete des vor sich gehenden Prozesses sind Sprünge wahrscheinlich. Falls damit jedoch ein qualitativer Sprung in den Eigentums- und Herrschaftsverhältnissen gemeint sein sollte, ist dieser in der Realität nicht gegeben. Die Monopolbourgeoisien der großen imperialistischen Länder haben sich nicht aufgelöst.1 Für unser Land geht auch das DKP-Programm von der Existenz einer Monopolbourgeoisie aus.
Die TNKs sind eine „strukturbestimmende Form des Kapitalverhältnisses”, wenn damit der heutige Organisationstyp der Monopole gemeint ist (im Unterschied zu früheren Formen der Monopole: Kartelle, Trusts, Syndikate, Konzerne, Multis, aus denen die TNKs erwuchsen; bei Lenin: „internationale Kapitalistenverbände”). Strukturbestimmend sind die TNKs auch für die heutige Struktur der internationalen Arbeitsteilung, ihre weitere Ausdifferenzierung, welche oft mit Entflechtung und Verschlankung auf nationaler Ebene einher geht. (Restrukturierungen, Shareholder Value, Skaleneffekte). Daneben gab und gibt es aber auch weiterhin die Clusterbildung, bei der Wertschöpfungsketten Vorteile (Synergien) aus räumlicher Nähe schöpfen.
Zu den TNKs als operativen Einheiten kommt die Form der Kooperationen und Joint Ventures zwischen TNKs. Sie haben weitgehend die früheren Kartelle abgelöst und sind flexibler als Kartelle. Dabei kann sich Konzern A mit Konzern B verbünden, um auf einem bestimmten Gebiet Konzern C zu schlagen und C kann sich auf einem anderen Gebiet mit B verbünden, um A zu schlagen. Bei den Kooperationen haben wir es mit einer komplizierten, aber verbreiteten Bewegungsform des Widerspruchs zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung zu tun.
Sofern es sich bei TNKs um Monopole handelt, sind sie auch strukturbestimmend im Hinblick auf die Strukturen der Aufteilung des Weltmarkts. Doch von den laut UNCTAD nicht weniger als 82000 TNKs, können nicht alle Monopole sein.
Aus einem Verständnis der TNKs als „strukturbestimmender Form des Kapitalverhältnisses in der gegenwärtigen Etappe” kann nicht jeder Aspekt des gegenwärtigen Kapitalismus deduktiv abgeleitet werden. Das wäre Dogmatismus. Hegel definiert Dogmatismus als »die Meinung, dass das Wahre in einem Satze, der ein festes Resultat ist, oder ... der unmittelbar gewußt wird, bestehe«. (Phänom. S. 31; Encykl. § 32).
1Mehr dazu: Beate Landefeld, Europäisiert sich die Bourgeoisie? Marxistische Blätter 1-2010, S. 33ff.

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