Donnerstag, 30. Juni 2011

Zehntausende Mitglieder - über 1 000 Berufsverbote

Am 22. Mai 1971 konstituierte sich der marxistische Studentenbund Spartakus mit seinem 1. Bundeskongress in Bonn. Etwas über 20 Jahre später am 23. Juni 1990 löste sich der MSB in Münster auf einer Bundesmitgliederversammlung auf. Über Politik und Geschichte des Verbandes sprachen wir mit zwei seiner führenden FunktionärInnen. Das Gespräch für die UZ führte Adi Reiher, Anfang der 80er Jahre selbst Sekretär des MSB-Bundesvorstandes.
UZ Beate, anlässlich des Studiengebührenboykotts von 2007 hatten Dich Hamburger Studenten eingeladen, damit Du über die Erfahrungen des Studiengebührenboykotts von 1970 referierst. Was hast Du vorgefunden?
Beate Landefeld: Auf der Veranstaltung waren etwa 40 Leute, hauptsächlich Sympathisanten der "gewerkschaftlichen Orientierung", aber auch Basisgruppler und Liberale. Fast nur Aktivisten. Für Aktivisten ist die Geschichte der Studentenbewegung wichtig. Sie beschäftigen sich relativ intensiv damit. Auch an der Freien Universität Berlin gab der AStA eine "Kleine Geschichte der FU" heraus mit Erfahrungen der Studentenbewegung früherer Jahrzehnte. Ich schließe nicht aus, dass die Geschichte des MSB Spartakus noch einmal richtig ausgegraben wird - von künftigen Studentengenerationen.
Michael Maercks: Ich bin ganz froh, dass wir hier Gelegenheit haben über den MSB Spartakus zu reden, denn in der Geschichte der Studentenbewegung, in der Geschichte der Linken, so wie sie heute dargestellt wird, kommt der Verband nicht mehr vor. Bei der Veranstaltung zum 40. Jahrestag der DKP wurde der Spartakus nicht erwähnt.
UZ Warum?
Michael Maercks: Es passte nicht in das Konzept der Veranstaltung: DKP als Partei der Arbeiterklasse, auch in der Kontinuität der KPD. Dabei hatte die DKP bei ihrer Neukonstituierung durchaus den Kontakt zur Intelligenz gesucht. Es mag an der Erfahrung liegen, dass sehr viele Spartakisten heute nicht mehr bei der DKP sind.
Auch beim neuen SDS wird der Spartakus ausgeblendet. Beim Kongress 40 Jahre Studentenbewegung fand der MSB kaum statt. Auf meine Anfrage wegen Mitarbeit habe ich keine Antwort bekommen. Auf dem Kongress trat nur Christiane Reymann, früher MSB jetzt "Die Linke", mit einer Veranstaltung zur gewerkschaftlichen Orientierung auf. Das war´s. Dabei war der MSB in der Geschichte der Bundesrepublik der größte Studentenverband.
Beate Landefeld: Der größte marxistische, aber auch der größte überhaupt.
Michael Maercks: Genau. Überschlägig kann man sagen, in den 20 Jahren seiner Existenz sind zwischen 20- und 30 000 Studenten durch den MSB gegangen. Das ist eine ganze Menge. Davon findest du heute viele - entsprechend unserer damaligen Orientierung - im gewerkschaftlichen Bereich. Auch im wissenschaftlichen Bereich.
Beate Landefeld: Dort ist zum Beispiel Steffen Lehndorff, der "Erfinder" des Begriffs der gewerkschaftlichen Orientierung.
Michael Maercks: An der "Erfindung" waren auch noch etliche andere beteiligt. Das fing zwischen 66 und 68 an. Das war ein längerer Prozess, an dessen Anfang die Bestimmung der Wissenschaft als Produktivkraft stand, also ihre Einordnung in den Produktionsprozess. Im Laufe der Jahre lernten also viele in der Arbeit des MSB, zu kämpfen, öffentlich aufzutreten, zu argumentieren, analytisch zu denken, Politik zu entwickeln ...
Beate Landefeld: Das Organisieren nicht zu vergessen.
Michael Maercks: Das auch. Das alles hat uns im "Leben" später geholfen. Einige haben diese Fähigkeiten dann "anders" eingesetzt, was vielleicht dazu beiträgt, dass der MSB von mancher Seite nicht mehr erwähnt wird. Als wir uns 1971 konstituierten, hatten wir die Presse noch für uns. Spiegel und Zeit untersuchten uns sehr genau.
Beate Landefeld: Auch der Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) und der heutige CDU-Professor Gert Langguth.
Michael Maercks: Tatsache ist, dass 1971 die Zeit für die Gründung eines marxistischen Studentenverbandes reif war. Es gab allerdings durchaus Diskussionen, ob das richtig sei. Man machte in anderen europäischen kommunistischen Parteien durchaus nicht nur positive Erfahrungen mit "seinen" Studenten. Es zeichnet die damalige DKP-Führung aus, dass sie damals nicht nur die Chance sah, sondern auch die Notwendigkeit begriff.
UZ Man kann ja vielfach nachlesen, dass der Grund für die Studentenbewegung der Mauerbau von 1961 gewesen sei. Danach blieb der Zustrom von gutausgebildeten Akademikern aus dem Osten aus. Und die westdeutschen Hochschulen begannen aus den Nähten zu platzen.
Beate Landefeld: Das war ein Aspekt. In "Rebellion der Studenten" analysiert der SDS-ler Wolfgang Lefèvre, dass nach der Wirtschaftskrise 1967 deutlich wurde, dass das Bildungssystem der BRD veraltet war. Auch die aufgeklärten Teile der Bourgeoisie sahen die Notwendigkeit einer Hochschulreform. Die Studentenzahlen mussten erheblich erhöht werden, von Ende der 60er bis Ende der 70er Jahre verdoppelten sie sich. Die Ordinarienherrschaft passte nicht zur Massenuniversität. Der Kampf gegen den "Muff von 1000 Jahren" unter den Talaren kam daher auch in bürgerlichen Medien gut an.

Sonntag, 5. Juni 2011

Reaktionär von Format

aus: Junge Welt vom 06.06.2011 
  Lucas Zeise:

Warum die Währungsunion scheitert. Zur Verleihung des Aachener Karlspreises an den ­scheidenden Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet


Der Aachener Karlspreis, traditionell an Himmelfahrt übergeben, geht 2011 an den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet. In der Begründung des Direktoriums der Gesellschaft für die Verleihung der nach Karl dem Großen benannten Auszeichnung heißt es, Trichet habe »herausragende Verdienste um den Zusammenhalt der Währungsunion und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes als Grundstein unseres Wohlstands und sozialer Sicherheit« vorzuweisen. Wir veröffentlichen, leicht gekürzt, eine Rede von Lucas Zeise auf der vom Aachener Antikriegsbündnis organisierten Gegenveranstaltung zwei Tage vor der Preisverleihung.

Es gibt viele Gründe, warum wir sagen können, daß Jean-Claude Trichet den Karlspreis verdient hat, den er übermorgen in dieser Stadt in Empfang nehmen wird. Diesen Preis erhalten Jahr für Jahr Personen – manchmal auch Institutionen –, die an der Schaffung eines reaktionären und unsozialen Europa mitgewirkt haben. Den Preis gibt es schon lange. Schon viele Karlspreisträger haben aktiv an der Schaffung eines solchen EU-Europa mitgewirkt, das man vielleicht am besten vergleichen kann mit dem Europa nach dem Wiener Kongreß, das von der katholisch-reaktionären Allianz von Kaiser, Königen und Fürsten unter Führung des Österreichers Metternich gegen die Völker Europas errichtet wurde. Man kann den Karlspreisträgern gratulieren. Sie sind schon ganz schön weit mit der Errichtung eines undemokratischen Metternich-Europas gekommen.

Ohne Zweifel reiht sich der diesjährige Preisträger, der Präsident der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet, würdig in die Liste dieser Reaktionäre ein. Er hat diese Ehrung in zwiefacher Weise verdient. Erstens ad personam. Die Konservativen schmücken ihre Reden gern mit lateinischen Ausdrücken, um den Plebs – also das Volk – zu verwirren und zugleich zu beeindrucken. Ein bißchen wollen wir es auch so halten. Also erstens ad personam – das soll hier heißen Herr Trichet hat den Preis auch ganz persönlich verdient. Er war und ist mit vollem Engagement »konservativer Zentralbanker«. Dieser Ausdruck ist nicht, wie man vermuten könnte, nur eine politische Charakterisierung. Es ist sozusagen ein Fachausdruck und zugleich ein Wort der Anerkennung unter Gleichen, die ebenfalls aus diesem harten konservativen Holz geschnitzt sind.