Zu den historischen Tatsachen, über die die NATO-Medien schweigen, gehören die Friedensverhandlungen zwischen der ukrainischen und der russischen Regierung im Frühjahr 2022 in Belarus und Istanbul. Ergebnis war ein nahezu unterschriftsreifer Vertragsentwurf, das Istanbuler Kommuniqué. Nach Boris Johnsons Blitzbesuch in Kiew am 9. April 2022 verschwand es in der Versenkung. Ab dem 2. April 2022 prägte das „Massaker von Butcha“ die westlichen Kriegsberichte. Man hängte es russischen Streitkräften an. Eine unabhängige Untersuchung gab es nicht. Verhandlungen mit dem „Verbrecher Putin“ waren von da an tabuisiert.
Im Februar 2022 erinnerte ein Interview des früheren israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennet an das Istanbul-Abkommen. Selenskyj habe Bennet Anfang März 2022 gebeten, Verhandlungen mit Putin zu vermitteln. Beide Seiten seien zu großen Zugeständnissen bereit gewesen. Ein Waffenstillstand schien greifbar nahe. Laut Bennet beendeten Großbritannien und die USA den Prozess. Gerhard Schröder, den Selenskyj parallel um Vermittlung bat, sagte der Berliner Zeitung, am Ende sei nichts passiert. „Mein Eindruck: Es konnte nichts passieren, denn alles Weitere wurde in Washington entschieden“ (22.10.2023). Im Juni 2023 zeigte Putin das Istanbuler Kommuniqué der Friedensdelegation afrikanischer Staaten.
Im Oktober 2023 legten der frühere NATO-General Harald
Kujat, der frühere UN-Diplomat Michael von der Schulenburg und der emeritierte
Politikwissenschaftler Hajo Funke eine Rekonstruktion des Ablaufs der
Verhandlungen auf Basis des bis dahin veröffentlichten Materials vor. Sie
enthält eine deutsche Übersetzung des Kommuniqués. Die 10 Punkte sahen für die
Ukraine u.a. dauerhafte Neutralität, Blockfreiheit und Atomwaffenverzicht vor –
gegen den Truppenabzug Russlands und Sicherheitsgarantien durch Russland, China
und westliche Staaten. Die Garantien erstreckten sich nicht auf die Krim und
den Donbass, deren Status wie vor dem 24.2.2022 umstritten blieb.
Laut der Rekonstruktion des Ablaufs beschloss die NATO am
24. März 2022 auf einem Sondergipfel, die Friedensverhandlungen zwischen
Russland und der Ukraine nicht zu unterstützen. Selenskyj verteidigte noch am
27. März das Verhandlungsergebnis öffentlich. Putin zog am 28. März als
„vertrauensbildende Maßnahme“ die russischen Truppen aus der Umgebung Kiews ab.
Boris Johnson „überzeugte“ im Auftrag der NATO Selenskyj am 9. April, den Krieg
fortzuführen und versprach die dafür nötigen Waffenlieferungen des Westens.
Ohne Intervention der NATO hätte der Krieg nach fünf Wochen
enden können. Zu Beginn der Sanktionen und angesichts ukrainischer
Kampfbereitschaft glaubten die NATO- und EU-Strategen jedoch, den Weg für ihre weitere
Ostexpansion freischießen zu können. Russland sollte geschwächt und einem
Regime Change unterzogen werden. Die Sabotage des Istanbul-Abkommens zeigt, wie
zuvor das Scheitern von Minsk und die Verhandlungsverweigerung im Dezember
2021, dass die NATO den Krieg wollte oder nichts tun wollte, um ihn zu
vermeiden.
Jetzt droht die Niederlage der Ukraine. Die USA drängen Kiew,
über das „Einfrieren“ der Front zu verhandeln. In der Ukraine wachsen Zweifel. David
Arakhamia, Fraktionsführer der Partei „Diener des Volkes“, in Istanbul im
Verhandlungsteam, sagte am 24.11.2023 im Fernsehen: "Sie (die Russen) waren
bereit, den Krieg zu beenden, wenn wir … die Neutralität annehmen und uns
verpflichten würden, nicht der NATO beizutreten. Das war … der entscheidende
Punkt." Oleksij Arestovich, Ex-Berater des Präsidentenbüros, nun im Exil,
schrieb am 27.11.2023 auf X: „Unser Krieg hätte durchaus mit den Istanbuler
Abkommen gekrönt werden können und ein paar Hunderttausend Menschen wären am
Leben geblieben.“ Den danach begonnenen „großen Krieg“ habe die Ukraine nicht
gewinnen können.
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