In der „Nationalen Sicherheitsstrategie“, über die die BRD neuerdings verfügt, steht: „Wir leben in einem Zeitalter wachsender Multipolarität und zunehmender systemischer Rivalität“. ZEIT-Autor Jörg Lau kritisiert: „Die ‚multipolare Weltordnung‘ ist ein antiwestliches Projekt – gegen universale Werte und das internationale Recht. Sie kann kein Ziel deutscher Außenpolitik sein. Ein Begriff, der unseren Werten und Interessen zuwiderläuft, hat in der Nationalen Sicherheitsstrategie keinen Platz“ (Internationale Politik 28.8.2023). Politikwissenschaftler Thomas Jäger meint im „Focus“: „Bundeskanzler Scholz weiß nicht, was ‚multipolare Ordnung‘ bedeutet“ (4.7.2023). Der Machtvorsprung der USA und Chinas sei für eine multipolare Welt zu groß. Es entstehe Bipolarität.
Neocon Robert Kagan erklärte 2008 den Konflikt zwischen
„liberaler Demokratie und Autokratie“ zum dauerhaftesten Konflikt seit der
Aufklärung. Ausgehend von Fukuyamas These, die „liberale Demokratie“ sei das
„Ende der Geschichte“, verpassen Neocons allem, was von der „liberalen
Demokratie“ abweicht, darunter dem Sozialismus und Kommunismus, das
„Autokratie“-Label. Die USA als „älteste liberale Demokratie“ gilt ihnen per se
als Fortschrittsträger, ihre Gegner als regressiv. Zur Demokratiekonferenz 2022
lud Biden die US-hörige Regierung Polens, nicht aber Ungarn ein. Die EU sieht bei
beiden Demokratiedefizite.
Die Neocons trommeln zur Sammlung vorgeblicher „Demokratien“,
um die US-Suprematie zu verteidigen oder zumindest den Aufstieg ihrer
Herausforderer zu verzögern. Als im Gefolge der Krise 2008ff. Chinas BIP nach
Kaufkraftparität das US-BIP überholte, war der „unipolare Moment“ vorbei. Die
USA wechselten gegenüber Russland und China von der Integrationsstrategie zur
Eindämmungs- und Rollbackpolitik. Die bipolare Sicht auf die Welt erleichtert die
Blockbildung des „Guten“ gegen das „Böse“. Theoretiker des Transatlantismus im hiesigen
Herrschaftsgebälk drängen die deutsche Regierung, sich ohne Hintertürchen dem
US-geführten Block im 2. Kalten Krieg unterzuordnen.
So schreibt Jäger mit Blick auf Scholz: „Wer meint, dass die
Globalisierung weitergeht, der wird das Geschäft mit China nur ein wenig
eindämmen wollen. Anders würde jemand entscheiden, der analysiert hat, dass die
Globalisierung stockt und sich intensivere regionale Wirtschaftsräume
ausbilden.“ Für teilweises „reshoring“ gibt es sinnvolle Gründe wie mehr Diversifizierung
und Binnenorientierung. Jäger verschweigt aber, dass primär westlicher
Protektionismus und Eindämmungspolitik heute die internationale
Vergesellschaftung der Produktion (= Globalisierung) bremsen, ohne sie als
objektive Tendenz der Produktivkraftentwicklung aufzuheben. Sie setzte sich
nach 2008 langsamer fort und bleibt für den ökonomischen Aufstieg neuer Länder wichtig.
Laut World Investment Report sanken die ausländischen
Direktinvestitionen 2022 um 12 Prozent. Das traf mit minus 37 Prozent hauptsächlich
die entwickelten Länder (vor allem die EU), während die Zuflüsse in Entwicklungsländer
um 4 Prozent leicht zulegten. Die 5 größten Empfängerländer waren USA, China,
Singapur, Hongkong, Brasilien, die 5 größten Abflussländer USA, Japan, China,
BRD und UK. Den US- und EU-Sanktionen gegen Russland folgten die meisten Länder
nicht. Der 15. BRICS Gipfel nennt unilaterale Zwangsmaßnahmen „inkompatibel mit
der UN-Charta“. Die BRICS wollen ein gerechteres, repräsentativeres und
demokratischeres internationales und multilaterales System voranbringen, indem
sie vielfältige Formen der Kooperation entwickeln. Zugleich drängen sie auf die
Reform der heutigen „global governance“. Sie wollen Indien, Brasilien und
Südafrika im UN-Sicherheitsrat sehen. Die Afrikanische Union soll Mitglied der
G20 werden. Vom US-dominierten Finanzsystem will man sich unabhängiger machen.
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