„Free Palestine“ kann zur größten internationalen antiimperialistischen Massenbewegung seit der Zeit der Vietnam-Solidarität werden. Die Bewegung begann kraftvoll. Sie erfasst den „globalen Süden“ wie die reichen Länder des Kapitals. Einheimische und eingewanderte Lohnabhängige nehmen teil.
Während die US-Regierung, traditionell pro-israelisch, in den UN eine Waffenruhe blockierte, stimmten 66 Prozent der Teilnehmer in einer Umfrage des Senders MSNBC für die Waffenruhe. Wähler der Demokraten waren zu 80 Prozent dafür, Wähler der Republikaner zu 56, Unabhängige zu 57 Prozent. Menschlichkeit wog stärker als die Rückendeckung des Duopols Biden-Trump für Israels Regierung. Moslemverbände, Menschenrechtsaktivisten, Linke mobilisierten in den USA Hunderttausende für sofortige Waffenruhe. Junge amerikanische Juden blockierten Straßen, Bahnhofshallen und Regierungsgebäude. Ihr Ruf: „Not in my name!“
Die Bewegung reagiert auf Israels unverhältnismäßige Antwort
auf die Hamas-Attacke vom 7. Oktober. Im Visier ist zudem die Besatzungspolitik
Israels, das sich mit Duldung von USA und EU zum Apartheidstaat entwickelte. Während
USA und EU das „Recht Israels auf Selbstverteidigung“ hochhalten, fordert „Free
Palestine“ die Befreiung der Palästinenser, gleiche Rechte und einen eigenen
Staat. Den von den UN geforderten palästinensischen Staat in den Grenzen von
1967 sabotiert Israel seit Jahrzehnten mittels Einzäunung, Belagerung, Zersiedelung
und Raub palästinensischer Gebiete. Diese Unterdrückung bricht keinen Terror, sondern
provoziert ihn immer wieder aufs Neue.
Die Protestbewegung reißt die Fassade der angeblichen
„Wertegemeinschaft“ aus USA, EU und NATO ein. Ihr imperialistischer Charakter wird
großen Massen vor Augen geführt. Der Vorsitzende der britischen Labour Party Keir
Starmer, der vordem Jeremy Corbyn und andere Linke, darunter Juden, wegen ihrer
Palästina-Solidarität als angebliche „Antisemiten“ aus der Partei schmiss,
steht heute selbst unter Druck, weil er keine Waffenruhe will. Die Kritik an
ihm ist so heftig wie die Kritik an seinem Vorbild Tony Blair wegen der Lügen
vor dem Irakkrieg. Ursula von der Leyen, die Netanyahu vorbehaltlos
unterstützte, sah sich scharfer Kritik eines Offenen Briefs von 800
Mitarbeitern aus dem EU-Stab ausgesetzt.
In den arabischen Ländern drängen die Massen ihre Regimes,
zu liefern. Diplomatischer Druck für die Waffenruhe und die Zwei-Staaten-Lösung
baut sich auf und wird weiterhin wachsen. Arabische Länder und BRICS-Staaten stimmen
sich miteinander ab, im Bemühen, ein Überspringen des Krieges auf den gesamten
Nahen Osten zu vermeiden. Zuvor waren massiv US-Kriegsschiffe aufgefahren, angeblich,
um US-Stützpunkte zu schützen. Die Neocons in der US-Administration suchen aber
zugleich nach einer Gelegenheit, den Iran anzugreifen.
In der BRD werden Kritiker Israels offiziell schnell als
„Antisemiten“ diffamiert. Während sie den offenen Rassismus der israelischen
Regierung als „Selbstverteidigung“ verharmlosen, nutzen CDU/CSU, FDP, Grüne und
AfD jede aggressive Entgleisung von Migranten, um islamophobe Hetze und
Repression zu steigern. Das Eintreten gegen Rassismus jeder Spielart ist Teil
des Kampfes um Demokratie, gegen Demonstrationsverbote, Zensur,
Sprachregelungen und Abbau von Rechten. Die Solidarität mit Palästina wird an
Stärke gewinnen. Sie kann auch den innenpolitischen Feinden der Demokratie
Niederlagen bereiten.
Springers „Welt“ schrieb am 12.10.2023: „Die Nato steckt in
der Klemme. Es gibt womöglich nicht genug Geld und Material, um die Ukraine und
Israel zugleich zu unterstützen.“ USA/NATO/EU sind überdehnt. Ob sie zum
geoordneten Rückzug fähig sind, hängt nicht zuletzt von ihren inneren
Klassenverhältnissen ab. So oder so: Der Wind beginnt, sich zu drehen.
Die Kolumne von Beate Landefeld erschien zuerst in der UZ vom 10.11.2023
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