Montag, 6. Oktober 2014

Lenin zur demokratischen und sozialistischen Etappe der russischen Revolution

Auszüge aus seinen Werken vor und nach der Oktoberrevolution


1. Was tun? 1903 (LW5)

 Wir haben gesagt, dass ein Sozialdemokrat, der nicht nur in Worten für die Notwendigkeit einer allseitigen Entwicklung des politischen Bewusstseins des Proletariats eintritt, „in alle Klassen der Bevölkerung gehen“ muss. Es entstehen die Fragen: Wie ist das zu machen? Haben wir die Kräfte dazu? Ist der Boden für eine solche Arbeit in allen übrigen Klassen vorhanden? Wird das nicht eine Preisgabe des Klassenstandpunkts bedeuten oder zu einer Preisgabe des Klassenstandpunkts führen? […] Wir haben weder ein Parlament noch Versammlungsfreiheit, aber wir verstehen es dennoch, Versammlungen von Arbeitern zu veranstalten, die einen Sozialdemokraten hören wollen. Wir müssen es auch verstehen, Versammlungen von Vertretern aller Bevölkerungsklassen zu veranstalten, die nur einen Demokraten hören wollen.
Denn der ist kein Sozialdemokrat, der in der Praxis vergisst, daß „die Kommunisten überall jede revolutionäre Bewegung unterstützen“, daß wir daher verpflichtet sind, vor dem ganzen Volke die allgemein demokratischen Aufgaben darzulegen und hervorzuheben, ohne auch nur einen Augenblick unsere sozialistischen Überzeugungen zu verheimlichen. Der ist kein Sozialdemokrat, der in der Praxis seine Pflicht vergisst, bei der Aufrollung, Zuspitzung und Lösung jeder allgemein demokratischen Frage allen voranzugehen. […] Wiederholt denn nicht P.B. Axelrod schon seit 1897 ständig: „Die Aufgabe der russischen Sozialdemokraten, Anhänger und direkte oder indirekte Verbündete in den nichtproletarischen Klassen zu gewinnen, wird vor allem und hauptsächlich durch den Charakter der propagandistischen Arbeit im Proletariat selber gelöst“? Aber die Martynow und die übrigen „Ökonomisten“ stellen sich trotzdem die Sache weiterhin so vor, als müssten die Arbeiter zunächst im ökonomischen Kampf gegen die Unternehmer und gegen die Regierung“ Kräfte (für eine trade-unionistische Politik) sammeln und erst dann wohl von der trade-unionistischen „Erziehung zur Aktivität“ zur sozialdemokratischen Aktivität „übergehen“! (435ff.)


2. Arbeiterdemokratie und bürgerliche Demokratie. 1905 (LW8)


Gegen das Argument, die Hegemonie des Proletariats in der demokratischen Revolution sei irreal, da die meisten Liberalen nicht einmal für allgemeine, gleiche und geheime Wahlen seien:
Jeder Liberalismus taugt dazu, dass die Sozialdemokratie ihn genau so weit unterstützt, wie er tatsächlich als Kämpfer gegen die Selbstherrschaft auftritt. Diese Unterstützung, die der einzige bis zu Ende konsequente Demokrat, das heißt das Proletariat, allen inkonsequenten (d.h. bürgerlichen) Demokraten erweist, ist ja die Verwirklichung der Idee der Hegemonie. Nur die kleinbürgerliche, krämerhafte Auffassung von der Hegemonie sieht deren Wesen in einer Vereinbarung, in gegenseitiger Anerkennung und in papiernen Bedingungen. Vom proletarischen Standpunkt aus gehört die Hegemonie im Kriege demjenigen, der am energischsten von allen kämpft, der jede Gelegenheit benutzt, um dem Feind einen Schlag zu versetzen, bei dem Worte und Taten übereinstimmen und der deshalb der jede Halbheit kritisierende ideologische Führer der Demokratie ist.* 
Die Iskra ist in einem großen Irrtum befangen, wenn sie glaubt, dass die Halbheit eine moralische und nicht eine politisch-ökonomische Eigenschaft der bürgerlichen Demokratie sei ...“ (66)

3. Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution. 1905 (LW9)


„Eben die Lage des Proletariats als Klasse zwingt es, konsequent demokratisch zu sein. Die Bourgeoisie blickt nach rückwärts, sie fürchtet den demokratischen Fortschritt, der mit der Gefahr der Erstarkung des Proletariats droht. Das Proletariat hat nichts zu verlieren als seine Ketten, wird aber mit Hilfe des Demokratismus die ganze Welt gewinnen. Je konsequenter daher die bürgerliche Revolution in ihren demokratischen Umgestaltungen ist, desto weniger beschränkt sie sich auf das, was ausschließlich für die Bourgeoisie von Vorteil ist. Je konsequenter die bürgerliche Revolution ist, desto mehr Vorteile sichert sie in der demokratischen Umwälzung dem Proletariat und der Bauernschaft.

Der Marxismus lehrt den Proletarier nicht, sich von der bürgerlichen Revolution fernzuhalten, auf die Teilnahme in ihr zu verzichten, die Führung in ihr der Bourgeoisie zu überlassen, sondern im Gegenteil, er lehrt die energischste Teilnahme, den entschlossendsten Kampf für den konsequentesten proletarischen Demokratismus, für die Durchführung der Revolution bis zu Ende.“ (39)

„Ein ‚entscheidender Sieg über den Zarismus‘ ist die revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft […] Doch selbstverständlich wird das keine sozialistische, sondern eine demokratische Diktatur sein. Sie wird (ohne eine ganze Reihe von Zwischenstufen der revolutionären Entwicklung) nicht imstande sein, die Grundlagen des Kapitalismus anzutasten.“ (43f.)

„Die revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft hat, wie alles auf der Welt, eine Vergangenheit und eine Zukunft. Ihre Vergangenheit sind die Selbstherrschaft, die Leibeigenschaft, die Monarchie, die Privilegien. Im Kampf gegen diese Vergangenheit, im Kampf gegen die Konterrevolution kann es einen ‚einheitlichen Willen‘ des Proletariats und der Bauernschaft geben, weil einheitliche Interessen vorhanden sind.

Ihre Zukunft ist der Kampf gegen das Privateigentum, der Kampf des Lohnarbeiters gegen den Unternehmer, der Kampf für den Sozialismus. Hier ist ein einheitlicher Wille unmöglich. Hier liegt vor uns nicht der Weg von der Selbstherrschaft zur Republik, sondern der Weg von der kleinbürgerlichen, demokratischen Republik zum Sozialismus.

In der konkreten historischen Situation verflechten sich freilich die Elemente der Vergangenheit und der Zukunft, der eine Weg geht in den anderen über. Die Lohnarbeit und ihren Kampf gegen das Privateigentum gibt es auch unter der Selbstherrschaft, sie entsteht in ihrer Keimform sogar unter der Leibeigenschaft. Das hindert uns jedoch keineswegs, die großen Entwicklungsperioden logisch und historisch voneinander zu scheiden. Wir alle stellen ja die bürgerliche Revolution der sozialistischen gegenüber, wir alle bestehen unbedingt auf der Notwendigkeit, strengstens zwischen ihnen zu unterscheiden, aber kann man denn leugnen, dass sich in der Geschichte einzelne Teilelemente der einen und der anderen Umwälzung miteinander verflechten? Kennt die Epoche der demokratischen Revolutionen in Europa nicht eine Reihe sozialistischer Bewegungen und sozialistischer Versuche? Und ist denn der künftigen sozialistischen Revolution in Europa nicht noch vieles, sehr vieles im Sinne des Demokratismus nachzuholen geblieben?“ (74, 75)

Das Proletariat muss die demokratische Umwälzung zu Ende führen, indem es die Masse der Bauernschaft an sich heranzieht, um den Widerstand der Selbstherrschaft mit Gewalt zu brechen und die schwankende Haltung der Bourgeoisie zu paralysieren. Das Proletariat muss die sozialistische Umwälzung vollbringen, indem es die Masse der halbproletarischen Elemente der Bevölkerung an sich heranzieht, um den Widerstand der Bourgeoisie mit Gewalt zu brechen und die schwankende Haltung der Bauernschaft und der Kleinbourgeoisie zu paralysieren.“ (90)


4. Zwei Tendenzen in der Entwicklung der nationalen Frage im Kapitalismus. 1916 (LW20)



Lenin erarbeitete vor dem ersten Weltkrieg marxistische Positionen zur nationalen Frage. In dieser Zeit gab es ein nationales Erwachen auf dem Balkan, in Osteuropa und in Asien. Auch im 'bunten' russischen Großreich gärte es unter den über 100 Nationalitäten. 1913 entstand Lenins These über die zwei Tendenzen in der Entwicklung der nationalen Frage im Kapitalismus. Die erste Tendenz ist die des Erwachens des nationalen Bewusstseins, des Kampfs gegen nationale Unterdrückung und der Entstehung von Nationalstaaten. Sie ist historisch mit der Epoche des Sieges des Kapitalismus über den Feudalismus verbunden. Die zweite Tendenz ist die der Entwicklung und Vervielfachung der verschiedenartigen Beziehungen zwischen den Nationen, des Niederreißens der nationalen Schranken, der Herausbildung der internationalen Einheit des Kapitals, des Wirtschaftslebens, der Politik, der Wissenschaft. „Beide Tendenzen sind ein Weltgesetz des Kapitalismus.“ (12)
Doch erfolgt im kapitalistischen Weltsystem die Annäherung nicht auf Grundlage gleichberechtigter Kooperation der Nationen, sondern in der Konkurrenz von Unternehmen und Staaten, durch Unterwerfung von Nationen, Ausbeutung und Ausplünderung des Gros der Länder seitens imperialistischer Großmächte. Daher hebt die zweite Tendenz die erste nicht auf, sondern verschärft sie. Marxisten rechnen mit beiden Tendenzen, treten für Gleichberechtigung der Nationen und proletarischen Internationalismus ein, bejahen das Selbstbestimmungsrecht, bekämpfen aber den bürgerlichen Nationalismus, der die Privilegierung und Exklusivität der ‚eigenen Nation‘ anstrebt und der die Ausgebeuteten spaltet.

5. Die sozialistische Revolution u. das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. 1916 (LW22)

„Die sozialistische Revolution ist kein einzelner Akt, keine einzelne Schlacht an einer Front, sondern eine ganze Epoche schärfster Klassenkonflikte, eine lange Reihe von Schlachten an allen Fronten, das heißt in allen Fragen der Ökonomie sowie der Politik, Schlachten, welche nur mit der Expropriation der Bourgeoisie enden können. Es wäre ein großer Irrtum zu glauben, dass der Kampf um die Demokratie imstande wäre, das Proletariat von der sozialistischen Revolution abzulenken oder auch nur diese Revolution in den Hintergrund zu schieben, zu verhüllen und dergleichen. Im Gegenteil, wie der siegreiche Sozialismus, der nicht die vollständige Demokratie verwirklicht, unmöglich ist, so kann das Proletariat, das den in jeder Hinsicht konsequenten, revolutionären Kampf um die Demokratie nicht führt, sich nicht zum Siege über die Bourgeoisie vorbereiten.“ (144f)

6. Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung. 1916 (LW22)


„Man darf wohl hoffen, dass nach dem Sprichwort ‚Alles Schlechte hat auch sein Gutes‘ vielen Genossen, die nicht begriffen haben, in welchen Sumpf sie geraten, wenn sie die ‚Selbstbestimmung‘ ablehnen und die nationalen Bewegungen der kleinen Nationen mit Geringschätzung behandeln, jetzt unter dem Eindruck des ‚zufälligen‘ Zusammenfallens der Urteile eines Vertreters der imperialistischen Bourgeoisie und eines Sozialdemokraten die Augen aufgehen werden!! […]
Denn zu glauben, dass die soziale Revolution denkbar ist ohne Aufstände kleiner Nationen in den Kolonien und in Europa, ohne revolutionäre Ausbrüche eines Teils des Kleinbürgertums mit allen seinen Vorurteilen, ohne die Bewegung unaufgeklärter proletarischer und halbproletarischer Massen gegen das Joch der Gutsbesitzer und der Kirche, gegen die monarchistische, nationale usw. Unterdrückung - das zu glauben heißt der sozialen Revolution entsagen. Es soll sich wohl an einer Stelle das eine Heer aufstellen und erklären: ‚Wir sind für den Sozialismus‘, an einer anderen Stelle das andere Heer aufstellen und erklären: ‚Wir sind für den Imperialismus‘, und das wird dann die soziale Revolution sein! Nur unter einem solchen lächerlich-pedantischen Gesichtspunkt war es denkbar, den irischen Aufstand einen ‚Putsch‘ zu schimpfen.
Wer eine ‚reine‘ soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben. Der ist nur in Worten ein Revolutionär, der versteht nicht die wirkliche Revolution. […]
Die sozialistische Revolution in Europa kann nichts anderes sein als ein Ausbruch des Massenkampfes aller und jeglicher Unterdrückten und Unzufriedenen. Teile des Kleinbürgertums und der rückständigen Arbeiter werden unweigerlich an ihr teilnehmen - ohne eine solche Teilnahme ist ein Massenkampf nicht möglich, ist überhaupt keine Revolution möglich -, und ebenso unweigerlich werden sie in die Bewegung ihre Vorurteile, ihre reaktionären Phantastereien, ihre Fehler und Schwächen hineintragen. Objektiv aber werden sie das Kapital angreifen, und die klassenbewusste Avantgarde der Revolution, das fortgeschrittene Proletariat, das diese objektive Wahrheit des mannigfaltigen, vielstimmigen, buntscheckigen und äußerlich zersplitterten Massenkampfes zum Ausdruck bringt, wird es verstehen, ihn zu vereinheitlichen und zu lenken, die Macht zu erobern, die Banken in Besitz zu nehmen, die allen (wenn auch aus verschiedenen Gründen!) so verhassten Trusts zu expropriieren und andere diktatorische Maßnahmen durchzuführen, die in ihrer Gesamtheit den Sturz der Bourgeoisie und den Sieg des Sozialismus ergeben, einen Sieg, der sich durchaus nicht mit einem Schlag aller kleinbürgerlichen Schlacken ‚entledigen‘ wird.“ (363f.)

7. Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky. 1918 (LW28)

Die Frage, die von Kautsky verwirrt worden ist, ist von den Bolschewiki schon 1905 völlig geklärt worden. Ja, unsere Revolution ist eine bürgerliche, solange wir mit der Bauernschaft in ihrer Gesamtheit zusammengehen. Darüber waren wir uns völlig im Klaren. Das haben wir seit 1905 Hunderte und Tausende Mal gesagt, und niemals haben wir versucht, diese notwendige Stufe des historischen Prozesses zu überspringen und durch Dekrete zu beseitigen. Die krampfhaften Bemühungen Kautskys, uns in diesem Punkt ‚bloßzustellen‘, legen nur die Verworrenheit seiner Ansichten bloß und zeigen, dass er Angst hat, sich an das zu erinnern, was er 1905 geschrieben hat, als er noch kein Renegat war.
Aber im Jahre 1917, seit April, lange vor der Oktoberrevolution, bevor wir die Macht ergriffen, sagten wir dem Volk offen und klärten es darüber auf, dass die Revolution nunmehr dabei nicht stehenbleiben kann, denn das Land ist vorwärts gegangen, der Kapitalismus hat Fortschritte gemacht, die Zerrüttung hat unerhörte Ausmaße angenommen, und das erfordert (ob man es will oder nicht) weitere Schritte vorwärts, zum Sozialismus hin. Denn anders vorwärts zu kommen, anders das durch den Krieg erschöpfte Land zu retten, anders die Qualen der Werktätigen und Ausgebeuteten zu mildern, ist unmöglich.
Es kam denn auch so, wie wir gesagt hatten. Der Verlauf der Revolution hat die Richtigkeit unserer Argumentation bestätigt. Zuerst zusammen mit der „gesamten“ Bauernschaft gegen die Monarchie, gegen die Gutsbesitzer, gegen das Mittelalter (und insoweit bleibt die Revolution eine bürgerliche, bürgerlich-demokratische Revolution). Dann zusammen mit der armen Bauernschaft, zusammen mit dem Halbproletariat, zusammen mit allen Ausgebeuteten gegen den Kapitalismus, einschließlich der Dorfreichen, der Kulaken, der Spekulanten, und insofern wird die Revolution zu einer sozialistischen Revolution. Der Versuch, künstlich eine chinesische Mauer zwischen dieser und jener aufzurichten, sie voneinander durch etwas Anderes zu trennen als durch den Grad der Vorbereitung des Proletariats und den Grad seines Zusammenschlusses mit der Dorfarmut, ist die größte Entstellung und Vulgarisierung des Marxismus, seine Ersetzung durch den Liberalismus. Das würde bedeuten, durch quasi-gelehrte Hinweise auf die Fortschrittlichkeit der Bourgeoisie im Verhältnis zum Mittelalter eine reaktionäre Verteidigung der Bourgeoisie gegenüber dem sozialistischen Proletariat einzuschmuggeln." (301)

8. Zum vierten Jahrestag der Oktoberrevolution. 1921 (LW33)


Die unmittelbare und nächste Aufgabe der Revolution in Russland war die bürgerlich-demokratische Aufgabe, die Reste des Mittelalters zu beseitigen, sie bis zum letzten Stein wegzuräumen … Wir haben die bürgerlich-demokratische Revolution zu Ende geführt wie niemand sonst. Wir marschieren ganz bewußt, sicher und unbeirrt vorwärts zur sozialistischen Revolution, in dem Bewußtsein, dass sie nicht durch eine chinesische Mauer von der bürgerlich-demokratischen Revolution getrennt ist, in dem Bewußtsein, dass nur der Kampf darüber entscheiden wird, wie weit es uns (letztlich) gelingen wird, vorwärts zu kommen, welchen Teil der unermeßlich hohen Aufgabe wir erfüllen, welchen Teil unserer Siege wir uns auf die Dauer sichern werden. Die Zeit wird‘s lehren […]

Welches waren die hauptsächlichen Erscheinungen, Überbleibsel, Reste der Leibeigenschaft in Russland im Jahre 1917? Monarchie, Ständewesen, Grundbesitz und Bodennutzung, Lage der Frau, Religion, Unterdrückung der Nationalitäten.“ (31, 32)

„Nebenbei bemerkt, alle die Kautsky, Hilferding, Martow, Tschernow, Hillquit, Longuet, McDonald, Turati und sonstigen Helden des ‚zweieinhalbten‘ Marxismus vermochten nicht, ein solches Wechselverhältnis zwischen der bürgerlich-demokratischen und der proletarisch-sozialistischen Revolution zu verstehen. Die erste wächst in die zweite hinüber. Die zweite löst im Vorbeigehen die Fragen der ersten. Die zweite verankert das Werk der ersten. Der Kampf und nur der Kampf entscheidet, wie weit es der zweiten gelingt, über die erste hinauszuwachsen.
Die Sowjetordnung ist gerade eine der anschaulichen Bestätigungen oder Erscheinungen dieses Hinüberwachsens der einen Revolution in die andere. Die Sowjetordnung ist das Höchstmaß an Demokratismus für die Arbeiter und Bauern, und zugleich bedeutet sie den Bruch mit dem bürgerlichen Demokratismus und die Entstehung eines neuen weltgeschichtlichen Typus der Demokratie, nämlich: des proletarischen Demokratismus oder der Diktatur des Proletariats.“ (34)
Wir rechneten darauf – vielleicht wäre es richtiger, zu sagen: Wir nahmen an, ohne genügend zu rechnen –, dass wir durch unmittelbare Befehle des proletarischen Staates die staatliche Produktion und die staatliche Verteilung der Güter in einem kleinbäuerlichen Land kommunistisch regeln könnten. Das Leben hat unseren Fehler gezeigt. Es bedarf einer Reihe von Übergangsstufen: Staatskapitalismus und Sozialismus, um den Übergang zum Kommunismus vorzubereiten, ihn durch die Arbeit einer langen Reihe von Jahren vorzubereiten. Nicht aufgrund des Enthusiasmus unmittelbar, sondern mit Hilfe des aus der großen Revolution geborenen Enthusiasmus, aufgrund des persönlichen Interesses, der persönlichen Interessiertheit, der wirtschaftlichen Rechnungsführung bemüht euch, zuerst feste Stege zu bauen, die in einem kleinbäuerlichen Land über den Staatskapitalismus zum Sozialismus führen, sonst werdet ihr nicht zum Kommunismus gelangen, sonst werdet ihr die Millionen und Abermillionen Menschen nicht zum Sozialismus führen.“ (38)



*Anmerkung für den scharfsinnigen Neuiskristen: Man wird uns wahrscheinlich entgegnen, der energische Kampf des Proletariats ohne irgendwelche Bedingungen werde dazu führen, dass die Bourgeoisie die Früchte des Sieges einheimsen werde. Wir antworten mit der Frage: Welche Garantie für die Einhaltung der vom Proletariat gestellten Bedingungen kann es geben außer der selbständigen Kraft des Proletariats?

Keine Kommentare: