Kölner Stadt-AnzeigerDie Nato braucht Russland
Von Ulrich Weisser, 22.08.08, 23:05h
Die vom georgischen Präsidenten initiierte Krise im Kaukasus und die russische Überreaktion ist kein regionales Problem mehr. Die Krise hat sich verselbständigt. Die Nato steuert auf eine Konfrontation mit Russland zu, deren Gefahren in keinem Verhältnis zu den Problemen Georgiens stehen.
Die Scharfmacher in der Nato, allen voran die USA, haben durchgesetzt, dass es vorerst keine Sitzungen des Nato-Russlandrates mehr gibt - eine Maßnahme, die Russland nicht einmal verlangt hat, als Amerika den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak begonnen hat.
Der Nato-Russlandrat war seit seiner Gründung am 27. Mai 1997 und seinem Ausbau im Jahre 2002 darauf angelegt, die Öffnung der Nato für neue Mitglieder durch eine strategische Partnerschaft der Allianz mit Russland abzufedern. Die Nato und Russland haben gemeinsam in der Gründungsakte festgestellt: „Der Ständige Gemeinsame Rat wird das wichtigste Forum für Konsultationen zwischen der Nato und Russland in Krisenzeiten . . . Zusätzlich zu den ordentlichen Sitzungen finden außerordentliche Tagungen des Rates statt, um in Notsituationen umgehend Konsultationen zu ermöglichen“.
Der russische Nato-Botschafter hat eben diese Konsultationen mit dem Beginn der georgischen Offensive gefordert. Die USA haben eine Sitzung des Rates jedoch unmöglich gemacht; die Nato hat Terminprobleme vorgeschoben. In Ihrer außerordentlichen Sitzung am 19. August 2008 haben die Nato-Außenminister beschlossen, die Konsultationen im Rat zu suspendieren. Damit hat die Allianz ihren Dialog mit Russland eingestellt und sich selbst der Möglichkeit beraubt, mit Moskau über eine vernünftige Lösung der Krise zu beraten. Wie nicht anders zu erwarten, hat die russische Regierung auf diesen unfreundlichen Akt sofort reagiert und am 20. August 2008 ihrerseits die gesamte militärische Zusammenarbeit mit der Nato eingestellt - ein Verhalten, das absolut voraussehbar war, denn Moskau hat immer auf Aktionen, die dort als gegen Russland gerichtet angesehen werden, sofort mit Gegenmaßnahmen reagiert. Im Übrigen ist die einseitige Aussetzung von Konsultationen in den Mechanismen des Rates überhaupt nicht vorgesehen.
Der deutsche Außenminister war offenkundig betroffen über den Kurs der Nato und zu Recht darauf hingewiesen, dass der Nato-Russland-Rat „kein Schönwetter-Rat“, sondern gerade für Krisenlagen geschaffen worden sei. Es fragt sich allerdings, warum die Bundesregierung den gefährlichen Kurs der Allianz mitträgt, die Beziehungen zu Russland zu vereisen. Auch wenn klar ist, dass Russland in Georgien überreagiert hat und seine Truppen rasch aus Georgien zurückziehen muss, hätte darüber besser mit Russland in der Nato gesprochen werden sollen.
Die USA, Großbritannien, Polen und die Balten haben das Bündnis auf einen gefährlichen Kurs gebracht, der für Europa nichts Gutes verheißt. Russland wird offenkundig falsch eingeschätzt. Sonst würde ja nicht ausgerechnet in dieser Krise das Abkommen zwischen Polen und den USA über die Stationierung des Raketenabwehrsystems bei gleichzeitiger massiver Aufrüstung Polens unterzeichnet werden.
Unsere Gesamtlage hat sich durch den Konfrontationskurs der Nato signifikant verschlechtert. Die Lage ist ohnehin prekär; denn der Kampf gegen Terrorismus und radikalen Islamismus ist nicht gewonnen. Die Gefahr kultureller Konflikte wächst; in Afghanistan zeichnet sich ein Fiasko ab, wenn es nicht zu einer grundlegenden Änderung der Strategie kommt; die Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen ist nicht unter Kontrolle; noch bevor Iran überhaupt zur Bedrohung wird, zeichnet sich ein nuklearer Rüstungswettlauf im Nahen Osten ab; Israel ist am meisten bedroht und zugleich in der Versuchung, sein Heil in einer militärischen Lösung zu finden. Der Nahe und Mittlere Osten sind die krisenträchtigsten Regionen der Welt und bedeuten für Europa eine ständige strategische Herausforderung. Zentralasien hat alle Ingredienzien für Krisen und Konflikte: immense Energievorräte, vielfache ethnische Gegensätze, korrupte Regime, islamische Fundamentalisten und ölbestimmte Gegensätze der Weltmächte. Wer die Lunte an dieses Pulverfass legt, kann nur verlieren. Georgien rasch in die Nato aufzunehmen bedeutet nichts anderes.
Nun kommt zu allem Überfluss hinzu, dass die Beziehungen der Allianz mit Russland in denkbar schlechter Verfassung sind; wir brauchen aber Russland - für politische Lösungen auf dem Balkan, im Iran, im Nahost-Konflikt und vor allem für Energiesicherheit; wenn Russland weiter vom Westen vernachlässigt oder planmäßig ausgegrenzt wird, ist abzusehen, dass es seine asiatischen Optionen schneller wahrnimmt, als uns lieb sein kann.
Deutsches Interesse gebietet, in dieser Lage einen anderen Kurs zu steuern und dabei durchaus in Kauf zu nehmen, im Gegensatz zur Bush-Administration und zu einigen unserer Nachbarn im Osten zu stehen, also im Gegensatz zu denjenigen, die sich immer mehr als treibende Kraft für den Konfrontationskurs erweisen.
Samstag, 23. August 2008
Kölner Stadt-Anzeiger mit bemerkenswertem Beitrag des früheren Chef-Strategen der Bundeswehr:
Kölner Stadt-Anzeiger Gastbeitrag
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