Kolumne von Beate Landefeld in Unsere Zeit vom 13.9.2019
Freitag, 13. September 2019
Merkels 12. Handelsreise nach China
Am 6./7. September besuchte Kanzlerin Merkel mit großem
Wirtschaftsgefolge zum 12. Mal in 14 Jahren Amtszeit die VR China. Den ersten
Besuch einer westlichen Staatschefin nach Ausbruch der Hongkong-Unruhen begleitete
eine Kampagne in Politik und Medien, die Merkel nahelegte, die sogenannte „Hongkonger
Demokratiebewegung“ zu unterstützen. Deren Anführer Wong schrieb einen Brief an
Merkel.
Die chinesische Zeitung ‚Global Times‘ urteilte am Tag vor
dem Besuch, Merkels Einstellung zu China habe sich seit ihrem Amtsantritt 2005
von „frostig“ zu „pragmatisch“ gewandelt. Nicht nur in den deutsch-chinesischen
Beziehungen, auch bei der Lösung globaler Probleme sei es zu Kooperationen auf
vielen Gebieten gekommen. Den Aufstieg Chinas interpretierten nun bestimmte
Kräfte in Deutschland und Europa mittels der Theorie einer sogenannten „chinesischen
Bedrohung“, der man mit festeren Bindungen an die USA und den Westen begegnen müsse.
Das erschwere Merkel die Beibehaltung ihres Kurses einer pragmatischen
Kooperation.
Vor der Presse in Peking wiederholte Merkel ihr schon in
Berlin gemachtes Statement für eine gewaltfreie Konfliktlösung in Hongkong, den
Dialog und die Einhaltung der Rechte der Bürger. Chinas Ministerpräsident Li
Keqiang erklärte das Interesse Chinas an der Beibehaltung des Prinzips „Ein
Land, zwei Systeme“. Die Zentralregierung unterstütze das Bemühen der Regierung
Hongkongs, den Konflikt auf gesetzlicher Grundlage zu beenden. Merkel wurde vom
Generalsekretär der KP Chinas Xi Jinping empfangen. Er soll sie angehalten
haben, Chinas Marktöffnung durch eine deutsche Öffnungspolitik für chinesische
Investitionen zu erwidern.
Der Handelskonflikt zwischen China und den USA schadet der
deutschen Wirtschaft, die zurzeit langsam in die Rezession abrutscht. Der
Streit zwischen der EU und den USA blieb ungelöst – ein Hintergrund, vor dem
die Kooperation zwischen Deutschland und China – der viert- und der zweitgrößten
Volkswirtschaft der Welt – Entlastung bietet. Der Besuch diente dem Abschluss
von entsprechenden Abkommen.
Am zweiten Tag des Besuchs hielt Merkel in Wuhan eine Rede
vor Studenten. Die Rede enthielt Belehrungen und Propaganda für die „offene
Gesellschaft“. Medien zufolge mahnte sie einen „bedeutenden Beitrag Chinas“ zum
Klimaschutz an und pries Deutschlands geplante Klimaneutralität ab 2050. Dass
Deutschland die Klimaziele von Paris wahrscheinlich verfehlt, während China sie
einhält, blieb in den Medien unerwähnt. Umso breiteren Raum erhielt das Thema
Social Scoring (= Sozialkreditsystem). Dreist erzählte Merkel den Studenten, in
Europa gebe es die „Datensouveränität des Bürgers“. Wurde Merkels Handy nicht vom
US-Geheimdienst überwacht? Sammeln und verwerten nicht private Internetkonzerne
unsere Daten? Welche Rolle spielen Geld und Besitz für den Sozialkredit der
Bürger in EU und USA?
Abweichend vom Protokoll hielt Merkels Auto auf einer Brücke
über dem Jangtse. Die 65-jährige Merkel stieg aus, ging ans Geländer und sah nach
der Stelle, an der 1966 Mao Tse-tung mit 73 Jahren den (heute stark
verschmutzten) Jangtse durchschwamm (vgl. Robin Alexander in der ‚Welt‘ vom
7.9.2019). Die Episode ruft wach, dass auch Merkel bald Geschichte sein wird. Ein
Autor der ‚Global Times‘ stellt Betrachtungen an: „Als Merkel zuerst an die
Macht kam, stimmte sie mit der freundlichen China-Politik ihres Vorgängers
Gerhard Schröder nicht überein. Dank Sachlichkeit erkannte sie später die
Bedeutung der Kooperation beider Länder. Merkels Änderung in der Einstellung
beruhte auf der Erkenntnis, dass freundliche Beziehungen zu China für Deutschland,
Europa und die Welt nützlich sind. Ihre Erfahrung ist ein wichtiges Vermächtnis
für künftige deutsche Führer, die Ideologien überbewerten, pro-USA sind oder
Vorurteile gegen China haben“ (GT 5.9.2019).
Kolumne von Beate Landefeld in Unsere Zeit vom 13.9.2019
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