Als Trump US-Präsident war, war der Ruf nach „strategischer Autonomie“, „Souveränität“ oder einer „geopolitischen Rolle“ der EU oft zu hören. EU-Staaten, die willens waren, als Leithammel voranzugehen, forcierten die Zusammenarbeit ihrer Armeen. Großprojekte der Aufrüstung wie das Kampfflugzeugsystem FCAS wurden auf den Weg gebracht. Nach Bidens Wahl zog Annegret Kramp-Karrenbauer die Zügel an. Ein Verständnis von strategischer Autonomie, welches „die Illusion nährt, wir könnten Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in Europa ohne die NATO und ohne Amerika gewährleisten“, lehnte sie ab. Die EU sei auch künftig auf die USA angewiesen. Das ging gegen Emmanuel Macron. Er sieht Frankreich als militärische Führungsmacht und will, dass die EU militärisch ohne die USA agieren kann, z.B. gegen die Türkei.
Unterschiede in den Interessen und Strategien der EU-Staaten
gibt es nicht nur in diesem Fall. Im imperialistischen Konstrukt EU herrschen
Konkurrenz, Ungleichmäßigkeit, Hierarchien und Abhängigkeiten. Es fehlt an materiellen
Grundlagen für gemeinsame Interessen. Das Argument, man müsse sich, um Gewicht
zu haben, zusammentun, da sonst „Europa“ zwischen den Weltmächten USA und China
zerrieben werde, schafft keine positiven gemeinsamen Interessen, aus denen sich
eine „europäische Strategie“ ableiten ließe. Vielseitigere Verflechtungen können
einseitige Abhängigkeiten sogar mildern. „Europäische Werte“ praktiziert die EU
ohnehin nur selektiv und mit Doppelmoral. Das Selbstbild der EU als
„Wertegemeinschaft“ ist bloßes Narrativ, eine von Politikberatern ausgedachte, „sinnstiftende
Erzählung“.
Zu den wichtigen Thinktanks der Bundesregierung gehört die
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. Auf ihrer Homepage gibt Direktorin
Daniela Schwarzer einen Ausblick auf 2021. Sie hadert mit den Schwierigkeiten,
die es bereite, eine „gemeinsame Bedrohungsanalyse“ der EU als Basis für einen „politischen
Kompass“ zu erstellen. Eins weiß sie aber genau: „In einer idealen Welt würden
die Mitgliedstaaten der EU eine gemeinsame, mit Fähigkeiten unterlegte
Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickeln. Sie würden sich darauf
einigen, außenpolitische Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit, statt
Einstimmigkeit zu fällen.“ Bekannt ist, dass Befürworter von EU-Einsätzen auch
im deutschen Parlamentsvorbehalt einen Anachronismus sehen. Die EU hat keine
gemeinsame Bedrohungsanalyse und keine gemeinsame Strategie. Die
Politikberatung schlägt als Lösung mehr Demokratieabbau vor.
Die Kampagne um Nawalny diente u.a. dazu, das Feindbild
Russland für die gemeinsame EU-Bedrohungsanalyse festzuzurren. Im Telefonat mit
Dämon Putin regte Angela Merkel nunmehr an, die Zulassung des russischen
Corona-Impfstoffs Sputnik V in der EU zu beantragen. Wer sich über so viel
Flexibilität der deutschen Außenpolitik wundert, sollte bei DGAP-Direktorin
Schwarzer nachlesen: „Wenn die EU global eine größere Rolle spielen möchte,
muss sie sich damit abfinden, dass sie mit manchen Partnern in einigen Feldern
gut kooperiert, in anderen quer liegen wird. Mit dieser Kompartmentalisierung
der Beziehungen muss die EU leben lernen.“ Außenpolitik nach dem Lehrbuch! Mal
Kooperation, mal Kalter Krieg, wie es gerade passt. Da kommen selbst
bürgerliche Medien nicht mehr mit. Fast alle stellten bis vor kurzem den
russischen Impfstoff als risikoreichen Murks dar.
Laut DGAP-Direktorin wird im ersten Halbjahr mit Washington
eine transatlantische Strategie gegenüber China erarbeitet. Die US-Regierung wird
klarere Positionierungen zu Huawei/5G etc. fordern. Das werde die EU auch
intern unter Druck bringen. Die EU will ihr Herangehen an die
Indo-Pazifik-Region, an Russland oder den Iran in eine transatlantische Agenda einzubringen
versuchen. Na dann.
Ungekürzte Kolumne von Beate Landefeld aus UZ 12.2.2021
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