Freitag, 12. Februar 2021

Strategische Autonomie unter Biden? Die EU sucht nach ihrer Rolle

 Als Trump US-Präsident war, war der Ruf nach „strategischer Autonomie“, „Souveränität“ oder einer „geopolitischen Rolle“ der EU oft zu hören. EU-Staaten, die willens waren, als Leithammel voranzugehen, forcierten die Zusammenarbeit ihrer Armeen. Großprojekte der Aufrüstung wie das Kampfflugzeugsystem FCAS wurden auf den Weg gebracht. Nach Bidens Wahl zog Annegret Kramp-Karrenbauer die Zügel an. Ein Verständnis von strategischer Autonomie, welches „die Illusion nährt, wir könnten Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in Europa ohne die NATO und ohne Amerika gewährleisten“, lehnte sie ab. Die EU sei auch künftig auf die USA angewiesen. Das ging gegen Emmanuel Macron. Er sieht Frankreich als militärische Führungsmacht und will, dass die EU militärisch ohne die USA agieren kann, z.B. gegen die Türkei.

Unterschiede in den Interessen und Strategien der EU-Staaten gibt es nicht nur in diesem Fall. Im imperialistischen Konstrukt EU herrschen Konkurrenz, Ungleichmäßigkeit, Hierarchien und Abhängigkeiten. Es fehlt an materiellen Grundlagen für gemeinsame Interessen. Das Argument, man müsse sich, um Gewicht zu haben, zusammentun, da sonst „Europa“ zwischen den Weltmächten USA und China zerrieben werde, schafft keine positiven gemeinsamen Interessen, aus denen sich eine „europäische Strategie“ ableiten ließe. Vielseitigere Verflechtungen können einseitige Abhängigkeiten sogar mildern. „Europäische Werte“ praktiziert die EU ohnehin nur selektiv und mit Doppelmoral. Das Selbstbild der EU als „Wertegemeinschaft“ ist bloßes Narrativ, eine von Politikberatern ausgedachte, „sinnstiftende Erzählung“.

Zu den wichtigen Thinktanks der Bundesregierung gehört die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. Auf ihrer Homepage gibt Direktorin Daniela Schwarzer einen Ausblick auf 2021. Sie hadert mit den Schwierigkeiten, die es bereite, eine „gemeinsame Bedrohungsanalyse“ der EU als Basis für einen „politischen Kompass“ zu erstellen. Eins weiß sie aber genau: „In einer idealen Welt würden die Mitgliedstaaten der EU eine gemeinsame, mit Fähigkeiten unterlegte Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickeln. Sie würden sich darauf einigen, außenpolitische Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit, statt Einstimmigkeit zu fällen.“ Bekannt ist, dass Befürworter von EU-Einsätzen auch im deutschen Parlamentsvorbehalt einen Anachronismus sehen. Die EU hat keine gemeinsame Bedrohungsanalyse und keine gemeinsame Strategie. Die Politikberatung schlägt als Lösung mehr Demokratieabbau vor.

Die Kampagne um Nawalny diente u.a. dazu, das Feindbild Russland für die gemeinsame EU-Bedrohungsanalyse festzuzurren. Im Telefonat mit Dämon Putin regte Angela Merkel nunmehr an, die Zulassung des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V in der EU zu beantragen. Wer sich über so viel Flexibilität der deutschen Außenpolitik wundert, sollte bei DGAP-Direktorin Schwarzer nachlesen: „Wenn die EU global eine größere Rolle spielen möchte, muss sie sich damit abfinden, dass sie mit manchen Partnern in einigen Feldern gut kooperiert, in anderen quer liegen wird. Mit dieser Kompartmentalisierung der Beziehungen muss die EU leben lernen.“ Außenpolitik nach dem Lehrbuch! Mal Kooperation, mal Kalter Krieg, wie es gerade passt. Da kommen selbst bürgerliche Medien nicht mehr mit. Fast alle stellten bis vor kurzem den russischen Impfstoff als risikoreichen Murks dar.

Laut DGAP-Direktorin wird im ersten Halbjahr mit Washington eine transatlantische Strategie gegenüber China erarbeitet. Die US-Regierung wird klarere Positionierungen zu Huawei/5G etc. fordern. Das werde die EU auch intern unter Druck bringen. Die EU will ihr Herangehen an die Indo-Pazifik-Region, an Russland oder den Iran in eine transatlantische Agenda einzubringen versuchen. Na dann.

Ungekürzte Kolumne von Beate Landefeld aus UZ 12.2.2021

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