Nach Bidens Treffen mit Putin regten Macron und Merkel an, die EU möge Putin ebenfalls Gespräche anbieten. Polen und die baltischen Staaten verhinderten dies. Ohnehin geht es Biden, Merkel und Macron nicht um Entspannung. Vielmehr agieren sie im Sinne des von westlichen Thinktanks ausgeklügelten Konzepts der „Kompartmentalisierung“. Das meint die Unterteilung zwischenstaatlicher Beziehungen in Kooperation dort, wo sie möglich ist, bei gleichzeitigen Sanktionen für „bösartiges“ Verhalten. Diese außenpolitische Schizophrenie ist weder berechenbar noch vertrauensbildend. Sie soll den Gesprächsfaden zu unbotmäßigen Staaten aufrechterhalten. Bloße Sanktionsspiralen wirken offenbar nicht so, wie erhofft.
Kurz nach dem Merkel-Macron-Gesprächsvorstoß provozierte die
NATO beim Manöver im Schwarzen Meer. Die russischen Streitkräfte reagierten
entschieden und besonnen. Heiko Maas besuchte danach Warschau. Gegenüber Polens
Außenminister Rau verteidigte er Nordstream 2 und warnte vor dem Abbruch der
wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland. Treibe man Russland in die Arme Chinas,
werde der größte Wirtschaftsraum der Welt entstehen. Auch Biden machte auf
seiner Europareise klar, dass seine Hauptsorge der Isolierung Chinas gilt. Der
australische konservative Premier Morrison heizte auf dem G7-Gipfel in Cornwall
die Stimmung gegen Chinas angebliche „Aggressivität“ an. Biden beschwor die „Allianz
der Demokratien“ unter Führung der Superdemokratie USA gegen alle „autoritären
Staaten“ der Welt.
In Berlin ist der Jubel über die „Revitalisierung der
transatlantischen Beziehungen“ inzwischen verhalten geworden. Eine von der
Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) vorgelegte Studie, an der Experten aus
Ministerien, Wirtschaft, Bundestag, Thinktanks und Universitäten mitwirkten,
hat sieben langfristig wirkende Trends der US-Innen- und Außenpolitik
ausgemacht, die allesamt in der Richtung einer Verengung des Handlungsspielraums
der USA wirken und sich gegenseitig verstärken: (1) die politische
Polarisierung, (2) die Verschärfung der ökonomischen Ungleichheit, (3) die
Transformation der US-Medienlandschaft, (4) die steigenden Kosten des
Klimawandels, (5) der Niedergang des verarbeitenden Gewerbes, (6) die sich
zuspitzende Rivalität mit China und (7) zunehmende Anforderungen an die US-Bündnissysteme.
Fazit: „Das System USA bewegt sich stabil in eine Richtung –
der Handlungsspielraum des amerikanischen Präsidenten wird sich verengen.“ Zudem
berge die „Revitalisierung der transatlantischen Partnerschaft“ unter dem
Vorzeichen einer konfrontativen China-Politik das Risiko, „die EU und die
europäischen NATO-Partner zu spalten, statt sie zu einen“. Die USA würden von
ihren Partnern mehr Mobilisierung eigener Kräfte gegen China erwarten. Zugleich
werde ihr Protektionismus gegenüber der EU unter Biden eher stärker als
schwächer. Die Studie mahnt realistische Erwartungen und bescheidene Ziele der
deutschen und EU-Politik gegenüber den USA an und wiederholt das bekannte
Plädoyer für mehr Autonomie und Resilienz der EU.
Der geplatzte Merkel-Macron-Gesprächsvorstoß zeigt, wie weit
es her ist mit Autonomie und Resilienz der EU. Macron, der schon länger strategische
Beziehungen der EU mit Moskau will, telefonierte im Anschluss mit Putin. Beide
sprachen sich für bessere Zusammenarbeit aus. Drängende Themen wie
Cybersicherheit, der Kampf gegen den weltweiten Terrorismus und der Klimaschutz
könnten zu einer „Rückkehr zum normalen und respektvollen Dialog“ beitragen,
teilte der Kreml nach dem Telefonat am 2. Juli mit. Paris und Berlin drängen in
der EU darauf, künftig in außenpolitischen Fragen das Konsensprinzip durch
Mehrheitsbeschlüsse zu ersetzen. Ob dies die EU handlungsfähiger machen oder
noch tiefer spalten wird, ist offen.
Kolumne von Beate Landefeld aus Unsere Zeit vom 9. Juli 2021
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen