Die vier „regierungsfähigen“ neoliberalen NATO-Parteien schnitten ab, wie prognostiziert. Scholz und die SPD liegen knapp vor Laschet und der CDU. Die Grünen legten stark, die FDP leicht zu. Da die GroKo derzeit keiner will, sind eine Jamaikakoalition (CDU/CSU, FDP, Grüne) oder die Ampel (SPD, Grüne, FDP) möglich. Die FDP präferiert Jamaika, die Grünen die Ampel. Laschet bietet eine „Zukunftskoalition“, Scholz eine „fortschrittliche Erzählung“. Grüne und FDP definieren sich als „fortschrittliches Zentrum“. Am 27.9.21 schloss der DAX leicht im Plus, laut Börsianern, ein Signal der Beruhigung, da „keine signifikanten Veränderungen der Politik zu erwarten“ seien. Doch bürgerliche Medien zeichnen nach der Wahl eine „über Nacht veränderte Republik“. Direktmandate färben die BRD im Norden rot, im Süden schwarz, mit blauen Flecken in Sachsen und Thüringen und grünen Einsprengseln im Südwesten.
Laut Umfragen sind die Wähler mit dem Ergebnis unzufrieden. Das politisch-mediale Establishment simuliert den „Aufbruch“ vor sich selbst. Der BDI fordert von allen Parteien „Bereitschaft zu wegweisenden Entscheidungen“ im Klimaschutz, bei der Digitalisierung und zur Lösung geopolitischer Krisen. Annalena Baerbocks Motto: „Ich stehe für Veränderung“ setzt sich nun um, indem Habeck und Lindner den Kompromiss finden zwischen FDP-Zielen wie „freie Fahrt auf Autobahnen“, „keine Steuererhöhungen“, „flexibles Renteneintrittsalter“, „mehr private Vorsorge“, „Einhaltung der Schuldenbremse“ und Grünen-Forderungen nach Tempolimit, Reichensteuer, Bürgerversicherung, Ausnehmen der Investitionen von der Schuldenbremse, mehr Mindestlohn. Das Großkapital setzt darauf, dass die FDP in der Ampel, so wie bisher die CDU in der GroKo, soziale Zugeständnisse für die Lohnabhängigen abwürgt.
Laschet ist als CDU-Vorsitzender angezählt. Die Hauptpartei
des Monopolkapitals lässt der SPD bei der Regierungsbildung den Vortritt, hält sich
aber zugleich für Jamaika bereit. Ob die Ampel scheitert, soll sich im nächsten
Halbjahr klären. So oder so will sich die CDU neu aufstellen. Alle Figuren, die
sich zuletzt hinter Laschet einreihten, konkurrieren nun wieder offen um die
künftige Linie der CDU: Merz vom Wirtschaftsrat, dem Merkel zu
„sozialdemokratisch“ war, der Konservative Spahn, der transatlantische Einpeitscher
Röttgen, der die Grünen mit einem schärferen Kurs gegen Russland und China ins
Jamaika-Boot locken will, der wendige Söder. Schon fordert der Grüne Nouripour
die SPD auf, ihren Russland-Kurs zu ändern.
Gramsci definierte Parteien als „organische Intellektuelle“ der
verschiedenen Klassen und Schichten. Die Krisen und Zerwürfnisse in der CDU/CSU
reflektieren objektive Widersprüche in der Interessenlage des deutschen Monopolkapitals.
Anstehende Transformationen, wie die Digitalisierung und der ökologische Umbau,
sollen ohne Verluste an Profitabilität über die Bühne gehen, die Lasten der
damit verbundenen Strukturkrisen auf die Massen abgewälzt werden. Zugleich soll
die Bindekraft des Systems erhalten bleiben, was nicht ohne soziale
Zugeständnisse geht. Geopolitisch ist die exportabhängige deutsche Wirtschaft
auf den Handel mit China angewiesen und zugleich dem Druck der USA ausgesetzt,
sich von China stärker zu entkoppeln.
Diese Widersprüche verschwinden nicht, wenn Merkel geht. Alle
Lösungsvarianten der „regierungsfähigen“ neoliberalen NATO-Parteien bewegen
sich in den Grenzen des Systems und werden neue Probleme aufreißen. Lösungen im
Interesse der Bevölkerung müssen gegen die Profitinteressen des Monopolkapitals
erkämpft werden. Sie dürfen auch vor Systemgrenzen nicht halt machen. Die Widersprüche
im Politikestablishment müssen für den Klassenkampf von unten sowie für den Kampf
um Abrüstung und friedliche Koexistenz mit China und Russland ausgenutzt werden.
UZ-Kolumne von Beate Landefeld vom 8.10.2021
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen