Dienstag, 11. April 2023

Reisen nach Peking. Im Westen fehlt die Lösungskompetenz

 Eigentlich wollte Macron schon im November 2022 Scholz nach China begleiten. Scholz und seine Wirtschaftsdelegation traten die laut Tagesschau „umstrittene Reise“ aber lieber ohne Macron an. Am 20. März, drei Tage nach dem Haftbefehl des primär von EU und Japan finanzierten ICC gegen Putin, besuchte Xi Yinping den „alten Freund“ in Moskau. Danach machten sich innerhalb von 14 Tagen drei Spitzenpolitiker Westeuropas nach Peking auf: Spaniens Pedro Sanchez, Frankreichs Manuel Macron und EU-Chefin Ursula von der Leyen.

Sanchez gab an, eine mögliche Vermittlerrolle Chinas im Ukrainekrieg ausloten zu wollen. Macron kam mit großer Wirtschaftsdelegation. Konzernchefs unterzeichneten vorbereitete Verträge. Er und von der Leyen besprachen künftige Handels- und Investitionsaussichten vor dem Hintergrund, dass die USA auf die „Entkopplung“ von der chinesischen Wirtschaft drängen. Als strebsame Schülerin der US-Politik und Aspirantin auf den Posten der künftigen NATO-Generalsekretärin fordert von der Leyen zwar nicht „decoupling“, aber „derisking“. Das lässt Raum für die Wünsche der USA, aber auch für die des Bundeverbands der deutschen Industrie.

Der BDI will diversifizieren, nicht entkoppeln. Den USA kommt die EU-Spitze entgegen, indem sie künftig nicht nur chinesische Investitionen in der EU, sondern auch europäische Investitionen in China beschränken will. Das solle verhindern, dass „EU-Know-how“ verwendet werde, um „die militärischen und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten derjenigen zu stärken, die für uns auch systemische Rivalen sind“, so von der Leyen. Nach dem kolonialen Motto: „ohne unser Know-how können die nichts“ bildet man sich ein, Chinas Entwicklung zur Hightech-Macht durch das Vorenthalten im Westen verfügbarer Technologien verlangsamen oder verhindern zu können.

Die drei EU-Größen bedrängten Xi, Russland „zur Vernunft zu bringen“, wie Macron es ausdrückte. Glauben sie, für China sei es attraktiv, Russland zu schwächen, damit der Westen potenter wird, China anzugreifen? Eher ging es wohl darum, Warnungen des US-Hegemons zu übermitteln. Biden, mit dem Macron vor der Reise telefonierte, versucht seit dem Ballonabschuss vergeblich, mit Xi zu telefonieren. Auch Selenskyj wartet auf Xis Anruf. Alle wollen, mal mit Drohungen, mal mit Höflichkeiten, dass China von Russland abrückt. US-Offizielle fürchten, der globale Süden könnte Chinas 12-Punkte-Plan zur Lösung der Ukrainekrise aufgreifen.

Von den 12 Punkten interessiert den Westen nur der erste: die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität. Beim zweiten Punkt kriegen sie schon kalte Füße: „Die Sicherheit eines Landes sollte nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Länder verfolgt werden. Die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder Expansion militärischer Blöcke erzielt werden.“ Der Rosinenpickerei entgegnen die Chinesen: Das Ukraineproblem ist komplex. Das gilt auch für seine Lösung.

Westliche Propagandaapparate zeichneten den Ukrainekrieg immer unterkomplex. Abweichlern warf man „Whataboutism“ vor. Darin spiegelt sich, dass der Westen objektiv Teil des Problems ist. Es fehlt ihm an Lösungskompetenz. Die Ostexpansion der NATO ging mit der der EU einher. Der US-Imperialismus wollte die Isolierung Russlands, der deutsche Imperialismus die Realisierung eines europäischen Wirtschaftsgroßraums. Die Ostexpansion war und ist keine „Friedensordnung.“ Sie ging mit Regime-Change-Versuchen und Kriegen einher, von Jugoslawien bis Ukraine.

Der 12-Punkte-Plan bietet Leitplanken für das Ringen um eine nachhaltige Lösung: Statt Blockkonfrontation, Koexistenz und Kooperation, statt Kriege, Verhandlungen, Abrüstung statt Aufrüstung. Nur so lässt sich eine hochgradig international vergesellschaftete Produktion aufrechterhalten und können globale Probleme gelöst werden.

Kolumne von Beate Landefeld, erschien zuerst in Unsere Zeit vom 11.4.2023

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