Sonntag, 31. Januar 2010

Zur Frage der Glaubwürdigkeit im Kampf um Demokratie und Sozialismus

Im Thesenentwurf des Sekretariats wird der Sozialismus als Lösung für die gegenwärtigen Menschheitsprobleme propagiert, da der Kapitalismus bei ihrer Lösung versagt habe. Sozialismus wird als Prozess der Emanzipation und Demokratisierung beschrieben. Zwar ist die Rede von der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung, doch fehlen Aussagen zu den ökonomischen und politischen Grundlagen des Sozialismus und zu den Machtverhältnissen, die einer revolutionären Veränderung im Wege stehen. Der Kampf um Sozialismus verschmilzt mit dem Eintreten für einen Richtungswechsel in der Politik und damit einher gehenden Verhaltensänderungen bei den Menschen.

Ein Richtungswechsel ist noch kein Sozialismus
Das Programm der DKP formuliert als strategisches Ziel für die nächste Etappe den Kampf um eine „Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt”. Damit ist ein Kräfteverhältnis gemeint, das den Übergang vom Abwehrkampf gegen die seit Jahrzehnten anhaltende Offensive des Kapitals in eine Gegenoffensive der arbeitenden Bevölkerung markiert, nicht nur punktuell, sondern im gesamtgesellschaftlichen Maßstab. Dieses strategische Ziel soll den Weg zum Sozialismus öffnen helfen, ist aber selbst noch kein Sozialismus. Im Kampf um die demokratische Wende, das heißt für Alternativen, die von der Mehrheit der Bevölkerung schon heute für richtig gehalten werden, soll sich der subjektive Faktor herausbilden, der in der Lage sein wird, den direkten Kampf um den Sozialismus aufzunehmen.
Die Notwendigkeit, einen Richtungswechsel in der Politik durchzusetzen, ist also unumstritten. Doch darf ein solcher Richtungswechsel nicht mit dem Kampf um den Sozialismus verwechselt werden. Wer das tut, reduziert die nötige sozialistische Umwälzung im besten Falle auf eine Reformstrategie, im wahrscheinlicheren Falle nicht einmal auf das.
Dass die Menschen im Kampf für Fortschritt sich selbst ändern, dass sie dabei die Fähigkeit erwerben, eine bessere Gesellschaftsordnung zu errichten, dass sie neue und andere Bedürfnisse entwickeln und sich in die Lage versetzen, für Natur und Mensch verträglichere Produktivkräfte zu gestalten, wird heute breiter diskutiert, als noch zur Zeit der „neuen sozialen Bewegungen” der 80er Jahre. Eine Mehrheit der Bevölkerung hält die Maßnahmen gegen den Klimawandel für nicht ausreichend. Der DGB fordert in seinem Konjunkturprogramm von Ende 2009 das Beschreiten eines „qualitativ neuen Wachstumspfades”, durch mehr staatliche Investitionen in Bereichen wie Energieeinsparung, bessere Umweltbedingungen, Öffentlicher Personennahverkehr, Erziehung und Bildung, Kultur, Gesundheit und Breitensport. Er empfiehlt als mittelfristigen Ausweg aus der Krise einen Abbau der extremen Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft gerade auch durch deren stärkere Ausrichtung an gesellschaftlichen Bedürfnissen. Ein solches Umsteuern kann nur im harten Kampf gegen mächtige Interessen durchgesetzt werden. Ohne massive Mobilisierung der Gewerkschaften ist dies nur schwer vorstellbar.
Schon ein Richtungswechsel stößt auf mächtige Gegenkräfte
Forderungen nach Ökologisierung der Wirtschaft und Übergang zu nachhaltiger Produktionsweise sind – von Ausnahmen wie Wolfgang Harich abgesehen – in der marxistischen Diskussion früher vernachlässigt worden. Daraus abgeleitete Forderungen nach grundlegenden Änderungen im Konsumverhalten der Individuen wurden zu Unrecht oft belächelt. Aber es gilt auch, „dass die Beschränkung oder auch nur die hauptsächliche Konzentration auf individuelle Verhaltens-änderungen die Gefahr mit sich bringen, daß die ökonomischen Interessen und die politische Durchsetzungsmacht verkannt oder zumindest unterschätzt werden”. Jörg Huffschmid warnte in diesem Zusammenhang 1995 vor zwei Gefahren: „erstens einer Leugnung oder Verkennung von Interessenunterschieden und -gegensätzen und zweitens vor Illusionen hinsichtlich der Härte der politischen Auseinandersetzung ... Während diejenigen, die der ersten Gefahr aufsitzen, sich gewöhnlich irgendwann im Lager derer wiederfinden, die die Gemeinsamkeit der Interessen über die Notwendigkeit von Veränderungen stellen, führen geplatzte Illusionen häufig zum Abschied von politischen Ambitionen überhaupt...”1
Wohlgemerkt – Huffschmid spricht hier nicht von der sozialistischen Revolution, sondern von der von ihm befürworteten Reformalternative, das heißt einer Entwicklung noch unter kapitalistischen Bedingungen.
Die DKP schätzt seit der Krise Mitte der 70er Jahre ein, dass die Bedingungen für die Durchsetzung demokratischer Reformen sich verschlechtert haben, weil der materielle Spielraum des Imperialismus für soziale Zugeständnisse geringer geworden ist. Der Neoliberalismus war die sozialreaktionäre Antwort der Bourgeoisien auf diese Entwicklung. Ihre Wende nach rechts erhielt durch den Zusammenbruch der sozialistischen Länder zusätzliche Schubkraft. In ihrem Programm von 2006 kommt die DKP daher zu der Schlußfolgerung, dass „herkömmliche soziale und demokratische Reformen ... näher an die Notwendigkeit grundlegender antimonopolistischer Umgestaltungen heran” rücken.
Die gegenwärtigen erbitterten Auseinandersetzungen um eine so bescheidene Reform, wie Obamas Gesundheitsreform in den USA, sprechen für den Realitätsgehalt dieser Einschätzung.
Demokratische Etappen im Kampf um den Sozialismus
Kurz vor seinem Rückzug vom Parteivorsitz der PDL hielt Oskar Lafontaine im Saarland eine Rede, die von der Zeitschrift „Junge Welt” als „programmatische Rede” eingestuft wurde. Darin sprach er sich für „die demokratische Erneuerung von Staat und Gesellschaft” aus. Das weckte bei mir Jugenderinnerungen. Als ich 1970 Mitglied der DKP wurde, war die Programmatik der DKP in Form der Grundsatzerklärung ihres Essener Parteitags 1969 formuliert. Die Grundsatzerklärung nannte als nächstes strategisches Ziel die „demokratische Erneuerung von Staat und Gesellschaft” der Bundesrepublik. Das war in einer Zeit, in der sehr vieles zum Positiven hin in Bewegung war: die Kalte-Kriegs-Ära und jahrzehntelange CDU-geführte Regierungen gingen zu Ende, eine große außerparlamentarische Opposition hatte sich gegen Notstandsgesetze und die US-Aggression in Vietnam gebildet, die Gewerkschaften beteiligten sich zunehmend an der Kampagne für Demokratie und Abrüstung (so nannten sich damals die Ostermärsche).
Der antiautoritäre Studententenführer Rudi Dutschke sprach Ende der 60er Jahre von „einer vorrevolutionären Situation” und erwartete ein „wellenförmiges Übergreifen” des sozialistischen Protestpotentials von den Universitäten auf die arbeitende Bevölkerung.
Ich ging in die DKP, weil ich für den Sozialismus war. Das Ziel der demokratischen Erneuerung von Staat und Gesellschaft erschien mir nicht besonders revolutionär, aber ich sagte mir: Wenn ich erstmal drin bin, kann ich ja mitdiskutieren und die Entwicklung des Programms mitbestimmen. Erst in der DKP beschäftigte ich mich, wie viele andere meiner Generation mit der theoretischen und historischen Entstehung der Strategie der DKP. Diese mußten wir gegen das Trommelfeuer einer „Revisionismuskritik” von Maoisten verteidigen, von Leuten, die heute teils zum rechten Flügel der Grünen gehören, wie Ralf Fücks, damals KBW, in Einzelfällen aber auch direkte Teilnehmer am strategischen Diskurs der Bourgeoisie geworden sind, wie Bernd Ziesemer, heute Chefredakteur des Handelsblatts, damals Führer der legalen maoistischen KPD.
Natürlich haben wir in dieser Auseinandersetzung jede Menge ehemals maoistisch denkende Genossinnen und Genossen überzeugen und für unsere Partei gewinnen können. Vor allem aber war es eine gute Schule für uns selber. Es motivierte uns zu einer gründlichen Beschäftigung mit der Geschichte der kommunistischen Bewegung. Wir vertieften unser Verständis der zwei Etappen der russischen Revolution, der revolutionär-demokratischen und der sozialistischen Etappe.
Russische Revolution – Antifaschistischer Widerstand – Chile
Lenin polemisierte 1902 in „Was tun?” gegen die Opportunisten, die die demokratische Etappe der Revolution, die auf den Sturz der zaristischen Selbstherrschaft zielte, der Bourgeoisie überlassen und die Rolle der Arbeiterklasse auf ihre eigene ökonomische Interessenvertretung beschränken wollten. Für ihn war klar, dass die Ausgangslage für eine künftige sozialistische Revolution umso günstiger wäre, je besser es der Arbeiterklasse gelänge, bereits in der demokratischen Etappe die Hegemonie zu erlangen. Für beide Etappen gab es mehr als einen Anlauf und zwischen den Anläufen Rückschläge. Die Masse der Bevölkerung bestand aus Bauern, nicht aus Arbeitern, also war die Bündnisfrage eine Schlüsselfrage der Revolution.
Gramsci hat später Lenins Hegemoniebegriff für Staaten mit bürgerlich-parlamentarischen Verhältnissen weiter entwickelt. Hegemonie zu erlangen, setzt unter anderem (und schon bei Lenin) voraus, die jeweilige Etappe des Kampfes richtig zu bestimmen und eine ihr entsprechende, breitest mögliche Bündnispolitik zu entwickeln. Die manchmal auch bei uns anzutreffende Interpretation von Hegemonie als „Bevormundung” von Bündnispartnern ist weder leninistisch, noch gramscianisch, noch zeugt sie von einem vorurteilsfreien Blick auf kommunistische Politik. Dass es in der Geschichte Praktiken gegeben hat, die Vorurteile zu bestätigen scheinen, steht auf einem anderen Blatt. Solche Fehler trugen zu Niederlagen bei und sind ein Grund mehr, Lenins und Gramscis Erkenntnisse intensiv zu studieren. Dann merkt man auch, wenn diese Erkenntnisse in verballhornter Form interpretiert werden, um sie leichter „widerlegen” zu können.
Es zeigt sich am Beispiel der russischen Revolution, dass die Frage der richtigen Bestimmung des strategischen Ziels für eine bestimmte Etappe zwar auch, aber keineswegs nur eine Frage von „internationalen Bedingungen” ist, wie Björn Blach eingewendet hat. Sie ist ebenso eine Frage des Zustands des subjektiven Faktors, seiner sozialen Zusammensetzung, seiner Sozialpsychologie, seines Bewußtseinsstandes.
Ein wichtiger Einschnitt in der Strategieentwicklung der kommunistischen Bewegung war der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1935, auf dem Schlussfolgerungen aus der Niederlage der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus gezogen wurden. Der Abwehrkampf gegen den Faschismus sollte in eine Offensive übergeleitet werden durch die Erkämpfung von Regierungen der Arbeitereinheitsfront aus Kommunisten und Sozialdemokraten, die zugleich als mögliche Formen des Herankommens an die sozialistische Revolution gesehen wurden. Auch auf die Einbindung bürgerlich-demokratischer Kräfte in den antifaschistischen Kampf wurde orientiert. In Frankreich und Spanien kam es zu antifaschistischen Volksfrontregierungen.
In Chile wurde 1973 die Volksfrontregierung unter dem Marxisten Allende durch einen Putsch der Konterrevolution im Blut ertränkt. Es war den sozialistischen und demokratischen Kräften nicht gelungen, relevante Teile von Polizei und Armee auf die Seite der Volksbewegung zu ziehen, um die Anwendung konterrevolutionärer Gewalt durch revolutionäre Gewalt zu verhindern oder zu minimieren. Das Beispiel Chile zeigt, dass die Aufgabe, einen möglichst unblutigen Weg zum Sozialismus zu finden und durchzusetzen, sich nicht in jedem Fall erst während der sozialistischen Revolution stellt, sondern sich auch schon bei den möglichen Formen des Herankommens stellen kann.
Wie die Programmatik der DKP die Frage der Gewalt reflektiert
In allen Programmen, die seit der Konstituierung der DKP beschlossen wurden, wird die Frage der herrschenden Gewalt reflektiert:
  • In der Grundsatzerklärung von 1969 heißt es dazu: „Die DKP erstrebt den für das arbeitende Volk günstigsten Weg zum Sozialismus, einen Weg ohne Bürgerkrieg. Es waren immer die herrschenden reaktionären Klassen, die zur Rettung ihrer Macht und ihrer Vorrechte blutige Gewalt gegen das Volk anwandten. Nur im harten Klassen- und Volkskampf gegen den unvermeidlichen Widerstand der großkapitalistischen Interessengruppen kann die sozialistische und antimonopolistische Volksbewegung die Kraft erlangen, um die Reaktion an der Anwendung von Gewalt zu hindern.”(S. 46,47)
  • Im Mannheimer Programm von 1978 heißt es: „Das für den Vormarsch zum Sozialismus hauptsächliche Hindernis stellt die ökonomische und politische Macht der Monopole dar. ... Wie sich dieser Weg konkret gestalten wird – das hängt vor allem von der Kraft der Arbeiterklasse, von der Stabilität ihres Bündnisses mit den anderen demokratischen Kräften, von der Stärke ihrer revolutionären Partei, aber auch von den Formen des Widerstandes der Reaktion ab. Die DKP baut auf die Arbeiterklasse und die Entfaltung ihrer Kraft, auf ein breites demokratisches Bündnis. Sie behält zugleich die Erfahrung ... im Auge, dass das herrschende Großkapital, wenn es seine Macht und Privilegien bedroht sah, stets versucht hat, den gesellschaftlichen Fortschritt durch Wirtschaftssabotage und politische Diversion, durch Terror und blutige Gewalt gegen das Volk aufzuhalten. Im harten Kampf muss durch die Arbeiterklasse und das ganze werktätige Volk der unvermeidliche Widerstand des Großkapitals überwunden und ein solches Übergewicht der zum Sozialismus strebenden Kräfte erreicht werden, das es ermöglicht, die Reaktion an der Anwendung blutiger konterrevolutionärer Gewalt zu hindern...” (S. 66)
  • Im Programm von 2006 heißt es: "Wie sich der Weg konkret gestalten wird, hängt ab von der Kraft der Arbeiterklasse, der Stabilität des Bündnisses mit anderen demokratischen
    Kräften, vom Einfluss der Kommunistinnen und Kommunisten, aber auch von den Formen des Widerstands der Reaktion. Die Erfahrungen des Klassenkampfes lehren, dass die Monopolbourgeoisie, wenn sie ihre Macht und Privilegien bedroht sah, stets versucht hat, den gesellschaftlichen Fortschritt mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern, bis hin zur Errichtung der faschistischen Diktatur und zur Entfesselung von Bürgerkriegen. Im harten Kampf muss ihr unvermeidlicher Widerstand überwunden und ein solches
    Übergewicht der zum Sozialismus strebenden Kräfte erreicht werden, das es ermöglicht, die Reaktion an der Anwendung von Gewalt zu hindern und den für die Arbeiterklasse und ihre Bündnispartner günstigsten Weg zum Sozialismus durchzusetzen." (S 32 f) Im Anschluss an eine Darstellung grundlegender Züge einer künftigen sozialistischen Gesellschaft wird ausgeführt: „All dieses kann jedoch nur geschaffen und erhalten werden, wenn den Kapitalisten die entscheidenden Produktionsmittel genommen werden und damit die Möglichkeit beseitigt wird, die Gesellschaft der Profitlogik zu unterwerfen. Darum müssen alle Versuche der entmachteten Ausbeuter, die mit der Verfassung und den Gesetzen des sozialistischen Staates unvereinbare kapitalistische Ausbeuterordnung wiederherzustellen, auf der Grundlage sozialistischer Gesetzlichkeit unterbunden werden. ... Es ist die Aufgabe der Kommunistinnen und Kommunisten, sozialistisches Bewußtsein in den Massen zu entwickeln, sie für das selbstständige, initiativreiche Wirken beim Aufbau des Sozialismus zu gewinnen und für dessen Verteidigung gegen alle Versuche zu mobilisieren, den Kapitalismus wiederherzustellen.” (S. 23)
Es wird deutlich, dass sich besonders im Programm von 1978 die chilenische Erfahrung reflektiert, die zu dieser Zeit noch frisch war. Sie scheint Jahrzehnte später nicht mehr so lebendig zu sein, wenn es möglich ist, dass ein Thesenentwurf des Sekretariats der DKP von Sozialismus spricht, ohne sich groß mit den Machtverhältnissen zu beschäftigen, die ihm im Wege stehen, und damit, wie diese zu überwinden sind und was an ihre Stelle treten soll. Realismus ist für eine sozialistische Perspektive, die glaubwürdig sein soll, jedoch unabdingbar! Zudem verschwinden historische Erfahrungen, die sich in Programmen und in den Biographien von Generationen niedergeschlagen haben, ja nicht dadurch, dass man sie „übersieht”.
Würde eine Revision des Parteiprogramms in einer so zentralen Frage eingeleitet, so könnte das die DKP nur schwächen: theoretisch, politisch und moralisch. Der Entwurf des Sekretariats soll nach der offiziellen Lesart das Programm nicht ersetzen, so wurde es nach Interventionen von Genossinnen und Genossen versichert und in der dann veröffentlichten zweiten Fassung durch ein paar Zitate aus dem Programm an der einen oder anderen Stelle „belegt”. Da der Entwurf jedoch noch immer reichlich mit Reizwörtern wie „Diktatur”, „Zwang”, „Hineintragen von Bewußtsein” und anderem Bösen gespickt ist, ohne sich die Mühe zu machen, solche von Marx, Engels und Lenin benutzten Begriffe zu erläutern, fällt es schwer, an den beteuerten „nichtprogrammatischen” Charakter zu glauben. Mindestens entsteht hier neben dem gültigen Programm eine neue programmatische Plattform für einen Teil der Partei.
Abgrenzung vom bisherigen Sozialismus in Europa
Natürlich ist es kein Zufall, dass diese Thesen auch die bisherigen Sozialismusversuche in Europa nur negativ malen. Leo Mayer erhielt auf der Website kommunisten.eu die Gelegenheit, diese umstrittenen Stellen zu rechtfertigen, schon bevor das Sekretariat die Thesen und die kritischen Stellungnahmen, die es dazu gab, der Gesamtpartei zugänglich gemacht hatte. Er verteidigt den „Verriß” des bisherigen Sozialismus mit der Form, in der er platziert wurde: Es sei um eine Darstellung des Bilds vom Sozialismus gegangen, wie es „in der Bevölkerung” vorhanden sei. Natürlich weiß Leo, dass es dazu empirische Untersuchungen gibt. Ihre Ergebnisse fallen in Ost und West unterschiedlich aus, sind aber erheblich differenzierter als das in den Thesen gemalte Bild.
Empirisch untersucht wird diese Frage von den Instituten der Bourgeoisie. Sie macht sich Sorgen, weil zu viele im Osten ein positives DDR-Bild haben, auch Schüler. Das dafür kreierte Schimpfwort lautet „Ostalgie”. In der gegenwärtigen Krise intensiviert die bürgerliche Propaganda ihre Versuche einer Delegitimierung der DDR. Obwohl kaum eine Partei der BRD dem etwas entgegensetzt und auch die PDL nur halbherzig widerspricht, lehnten laut einer Umfrage im März 2009 41% der Ostdeutschen den Begriff „Unrechtsstaat” für die DDR ab, 28% hielten ihn für treffend und 25% für teilweise zutreffend.
In den Thesen wird eine Auswahl von Ansichten zur DDR als die Ansicht „der Bevölkerung” dargestellt. Kommunistische Ansichten zur DDR, wie sie in unserem Programm formuliert sind, die sowohl positiv würdigend ausfallen, wie auch selbstkritisch und Lehren ziehend, werden dem nicht entgegen gestellt. Die Kritik, der bisherige Sozialismus werde in den Thesen ausschließlich negativ gezeichnet, kann mit trickreichem Verweis auf die Form der Darstellung nicht entkräftet werden. Wie sollen Thesen, die sich der Hegemonie der bürgerlichen Darstellung des bisherigen Sozialismus unterwerfen, statt sie anzugreifen, zu positiven Sozialismus-Vorstellungen in der BRD beitragen können?
Auf dem Hintergrund der negativen Darstellung des bisherigen Sozialismus kann die Proklamation eines „demokratischen Wegs zum Sozialismus”, den wir einzuschlagen hätten, nicht mehr überraschen. Sind wir bisher einen „undemokratischen Weg” gegangen? Ist die Forderung unseres Programms nach der politischen Macht der Arbeiterklasse im Bündnis mit allen demokratischen Kräften Kennzeichen eines „undemokratischen Wegs”? Waren die Oktoberrevolution und die kubanische Revolution „undemokratisch”? Es ist modisch geworden, kommunistischen Parteien vorzuwerfen, sie seien immer nur auf ein einziges „Sozialismus-Modell” fixiert gewesen. Für die von der DKP entwickelte Politik für die Bundesrepublk traf dieser Vorwurf nie zu. Bereits in ihrer Grundsatzerklärung 1969 heißt es:
„Die sozialistischen und fortschrittlichen Kräfte der Bundesrepublik werden unter Berücksichtigung der Erfahrungen der internationalen und der deutschen Arbeiterbewegung die Formen und Methoden des Kampfes um den Sozialismus in der BRD gemeinsam erarbeiten. Dabei ist infolge der andersgearteten geschichtlichen Situation und der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen eine schematische Nachahmung des in der DDR und in anderen sozialistischen Ländern beschrittenen Weges nicht möglich.” Das gilt natürlich auch heute, und dazu bedarf es keiner Belehrungen zum Thema „Diktatur”.
Keine Notwendigkeit, vom Parteiprogramm abzurücken
Das Programm der DKP von 2006 ist das einzige marxistische Programm einer Partei in der Bundesrepublik. Es ist verteidigenswert, auch wenn es die eine oder andere Kompromißformel enthält. Dass es in der DKP mehrere Strömungen gibt, ist offenbar bei anhaltender Krise der internationalen kommunistischen Bewegung nicht zu vermeiden. Doch sollte um Übereinstimmung gerungen werden. Das setzt allerdings Dialogbereitschaft statt Konfrontation und Ausgrenzung voraus. Ein konfrontativer Crash-Kurs läuft Gefahr, die Partei als Ganzes zu zerstören, nicht nur einen Flügel, den man nicht mag. Wer dies nicht will, sondern die DKP als selbständige kommunistische Partei erhalten will, hat keinen Grund, vom gültigen Programm abzurücken. Der Beschluß des Parteivorstands, den Thesenentwurf als Antrag zum nächsten Parteitag zurückzuziehen und auf einer theoretischen Konferenz 2011 zu diskutieren, um „eine organisationspolitische Zuspitzung auf dem Parteitag zu vermeiden” (Referat Leo Mayer), war deshalb ein Schritt in die richtige Richtung.

Nun kommt es darauf an, den Parteitag so vorzubereiten, dass er mit der jetzt vorgesehenen politischen Resolution auf der Grundlage des Programms der DKP und mit einem Antrag zur Aktionsorientierung die Handlungsfähigkeit der Partei erhält. Beide Dokumente sollen bis Ende März vom PV erarbeitet werden.

Die parallel eingeleitete Diskussion des Thesenentwurfs soll in eine theoretische Konferenz 2011 münden. Damit wurde die Kuh zunächst vom Eis gebracht und zum Grasen auf eine weniger verbindliche Nebenwiese geführt. Ähnlich wie das Papier der 84 sollen die Thesen auch auf der Website „Debatte” diskutiert werden. Ich begrüße die Diskussion, denn die den Thesen zugrunde liegenden Gedanken sind unterschwellig sowieso in Teilen der Partei vorhanden und müssen, wo nötig, „zerpflückt” werden. Dazu soll auch dieser Beitrag dienen. Das heißt nicht, dass ich alles falsch finde, was in den Thesen steht. Es sind auch richtige Gedanken drin, aber das gilt auch für die Thesen der 84er.
1 Zitiert aus: Jörg Huffschmid, Weder toter Hund noch schlafender Löwe. Die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus” - SPW, Heft 2-1995. Nachdruck in Heft 1-2010 der Marxistischen Blätter

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