Was ist eine Strategie? Laut politischem Wörterbuch der DDR bedeutet sie die Bestimmung der Hauptstoßrichtung des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse und die Bestimmung des Verhältnisses der Interessen der Arbeiterklasse zu denen aller anderen sozialen Kräfte in einer bestimmten Periode der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Strategie bestimmt die in einer konkret-historischen Etappe zu lösenden Hauptaufgaben und den Hauptgegner, der der Lösung im Wege steht. Ebenso bestimmt sie die möglichen Hauptverbündeten, die gegen den Gegner mobilisierbar sind, sowie solche sozialen Kräfte, die „paralysiert“ oder „neutralisiert“ werden können. Das Ziel ist, den Hauptgegner zu isolieren und den Kreis der gegen ihn mobilisierbaren Kräfte so stark wie möglich zu machen. Je mehr das gelingt, desto günstiger gestaltet sich der Verlauf des Kampfs um die Hegemonie und um die Macht, desto mehr lassen sich die eigenen Verluste begrenzen.[1]
Die Strategie leitet sich ab aus dem Programm. Während das übergeordnete Programm alles darstellt, was die Partei anstrebt und wofür sie kämpft, Zwischenziele und Endziel, bezieht sich die Strategie auf einen bestimmten Kampfabschnitt, auf eine Etappe. Eine strategische Etappe dauert bis zu einer historischen Wende. So galt die Strategie der Bolschewiki für die demokratische Etappe der russischen Revolution von 1903 bis zur Februarrevolution 1917. Strategisches Ziel war der Sturz des Zaren und die Errichtung der demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern. Nach der Februarrevolution (= historische Wende) entwarf Lenin mit den Aprilthesen die neue Strategie des Vorantreibens der demokratischen zur sozialistischen Revolution. Die Etappen unterschieden sich durch ihre sozialen Träger. Lenin definierte sie so: „Das Proletariat muss die demokratische Umwälzung zu Ende führen, indem es die Masse der Bauernschaft an sich heranzieht, um den Widerstand der Selbstherrschaft mit Gewalt zu brechen und die schwankende Haltung der Bourgeoisie zu paralysieren. Das Proletariat muss die sozialistische Umwälzung vollbringen, indem es die Masse der halbproletarischen Elemente der Bevölkerung an sich heranzieht, um den Widerstand der Bourgeoisie mit Gewalt zu brechen und die schwankende Haltung der Bauernschaft und der Kleinbourgeoisie zu paralysieren.“ Zwischen den Etappen, betonte Lenin stets, gebe es keine chinesische Mauer. „Elemente der einen verflechten sich mit Elementen der anderen. Der eine Weg geht in den anderen über.“ [2]
Die Taktik ist der Strategie untergeordnet. Sie ist die Gesamtheit der Formen, Mittel und Methoden des Kampfes, die dem jeweiligen strategischen Ziel dienlich sind, unter wechselnden politischen Konjunkturen. Laut Lenin besteht die marxistische Taktik „in der Verbindung verschiedener Kampfmethoden, im geschickten Übergang von einer zur anderen, in der beständigen Erhöhung des Bewusstseins der Massen und des Umfangs ihrer kollektiven Aktionen.“ Das betrifft parlamentarische und außerparlamentarische Kampfformen, legale und illegale, friedliche und nichtfriedliche Methoden. Kriterium für die Auswahl ist die Frage, ob sie die Bewusstheit und Organisiertheit der Massen stärken.[3] Ist die Taktik der Strategie nicht untergeordnet, besteht die Gefahr der Aufgabe des Endziels, wie im Fall der Verabsolutierung des parlamentarischen Kampfs durch die II. Internationale. Wird die Strategie verabsolutiert, ohne elastische Taktik, die den konkreten Geschichtsverlauf und die Stimmung der Massen berücksichtigt, dann löst sich die Avantgarde von den Massen.
2. Der Kapitalismus der BRD und die materielle Vorbereitung des Sozialismus
Der heutige Kapitalismus der reichen Länder ist staatsmonopolistischer Kapitalismus. Über 70 Prozent der global agierenden Konzerne kommen aus wenigen imperialistischen Hauptmächten, zu denen die Bundesrepublik zählt. Das Kapital der BRD ist monopolistisch strukturiert. 2015 erwirtschafteten von den 3,4 Millionen Unternehmen 0,44 Prozent (ca. 15000) über 65 Prozent der Umsätze. 99,56 Prozent erarbeiteten 35% der Umsätze. Genauso hochkonzentriert sind Vermögen und Reichtum: Dem reichsten 1 Prozent gehören 33 Prozent des Vermögens. Den oberen 10 Prozent gehören 60 Prozent des Vermögens, der unteren Hälfte 2,5 Prozent. Reichtum und Betriebsvermögen konzentrieren sich am stärksten an der Spitze. Für eine antikapitalistische Strategie bedeutet diese Konzentration und Zentralisation dreierlei:
Erstens: Ohne die politische und ökonomische Entmachtung von Monopolbourgeoisie und Finanzoligarchie lässt sich der Kapitalismus nicht überwinden. Das Monopol ist das im Imperialismus prägende Macht- und Herrschaftsverhältnis. Monopole sind das Produkt der Erhöhung des Vergesellschaftungsgrads der Produktion, der notwendig zur Beherrschung bestimmter Zusammenhänge des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses führt und dadurch die Aneignung von Monopolprofit ermöglicht. Monopole bilden die höchste Stufe der Vergesellschaftung, die unter Bedingungen des Privateigentums möglich ist.
Zweitens: Die Verstaatlichung der 0,44 Prozent Großkonzerne und Großbanken durch eine revolutionär-demokratische Staatsmacht käme der Eroberung der entscheidenden Kommandohöhen der Wirtschaft durch die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten gleich. Nicht nur, weil der staatliche Sektor fast zwei Drittel der Umsätze erwirtschaftet, sondern auch aufgrund des hohen Grads an ökonomischer, finanzieller und technischer Abhängigkeit des mittleren Kapitals von den Monopolen. Deshalb ist die ökonomische Struktur des SMK, wie Lenin formulierte, die „materielle Vorbereitung des Sozialismus, seine unmittelbare Vorstufe“ und gibt es „zwischen dieser Stufe und derjenigen, die Sozialismus heißt, keinerlei Zwischenstufen mehr“. Deshalb kann man „von den Monopolen aus nicht vorwärtsschreiten, ohne zum Sozialismus zu schreiten“.[4] Diese Aussagen beziehen sich auf die ökonomische Struktur (= materielle Basis). Davon zu unterscheiden sind erforderliche Kampfetappen, die sich auf die politischen Kräfteverhältnisse (= Überbau) beziehen. So führte Lenin über die politischen Etappen der Revolution in Russland aus: „Ein ‚entscheidender Sieg über den Zarismus‘ ist die revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft … Doch selbstverständlich wird das keine sozialistische, sondern eine demokratische Diktatur sein. Sie wird (ohne eine ganze Reihe von Zwischenstufen der revolutionären Entwicklung) nicht imstande sein, die Grundlagen des Kapitalismus anzutasten.“[5]
Drittens: Die Monopolbourgeoisie der BRD stellt etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung. Ihre Macht basiert nicht nur auf Zwang und Gewalt, sondern auch auf der ständigen Organisierung des Konsenses eines genügend großen Teils der Bevölkerung mit einer Politik im Interesse der Monopole. Bürgerliche Parteien, rechte Sozialdemokratie, vielfältige Verbände, Einrichtungen und Organisationen des politischen Überbaus organisieren diesen Konsens durch die Politik des „Teile und Herrsche“, durch Zugeständnisse, durch den „stummen Zwang der Verhältnisse“ oder durch offene Repression. Umgekehrt sind wir bestrebt, für den Kampf um Frieden, Demokratie und soziale Rechte möglichst viele Lohnabhängige und nichtmonopolistische Kräfte zu mobilisieren und zu organisieren, wie dies im Kampf gegen TTIP ansatzweise gelang, wie es aber auch zum Beispiel im Kampf für ein besseres Gesundheitswesen und bessere Pflegeeinrichtungen gelingen könnte. Die antimonopolistische Stoßrichtung unseres Kampfes leitet sich aus den Machtverhältnissen im SMK und unserem sozialistischen Ziel ab. Sie lenkt den Blick auf die reale Macht im Lande, gegen die die Kräfte konzentriert werden müssen, und sie gilt solange, bis das Monopolkapital besiegt ist.
3. Die Masse der KMU und die nichtmonopolistische Bourgeoisie
Wenn wir das Bündnis der Arbeiterklasse mit anderen nichtmonopolistischen Klassen und Schichten bejahen, meinen wir in erster Linie die Intelligenz und die Mittelschichten im Kultur-, Bildungs- und Gesundheitssektor. Das traditionelle Lieblingsthema des Seminarmarxismus ist aber nicht die Masse der Mittelschichtangehörigen, sondern die „nichtmonopolistische Bourgeoisie“. Sehen wir uns den „Mittelstand“ daher anhand der Statistiken des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) etwas näher an!
Im imperialistischen Stadium existieren im Kapitalismus keinesfalls nur Monopole. Die große Masse der Unternehmen sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Anders als die Monopole bilden sie keine unmittelbare Vorstufe des Sozialismus[6] Die spezifischen Übergänge, um KMU in die Vergesellschaftung einzugliedern, sind aus der Geschichte bekannt: Den Kleinunternehmen, die heute 97,32 Prozent der Unternehmen stellen, empfehlen Sozialisten und Kommunisten seit jeher, Kooperativen, Genossenschaften, Gemeinschafts-Praxen, d.h., Formen genossenschaftlichen Zusammenschlusses zu entwickeln. Im Übergang zum Sozialismus wird eine proletarisch geführte Staatsmacht die Genossenschaftsbildung selbstverständlich massiv fördern.
Mittlere Unternehmen, die derzeit 2,24 Prozent der Unternehmen stellen, sind heute stark von den Monopolen abhängig und wären im Fall der Verstaatlichung der Monopole im gleichen Maße von einer proletarisch geführten Staatsmacht abhängig. Bei vielen von ihnen wäre der Staat in der Nachfolge der Monopole Anteilseigner. Sie hätten dann die Wahl zwischen Kooperation und Sabotage. Je nach ihrer Wahl würde sich ihr Verhältnis zur Staatsmacht differenziert gestalten. In der DDR gab es mittelständische Betriebe mit staatlicher Beteiligung bis in die 1970er Jahre.
Die Mehrheit der KMU und 52 Prozent aller Unternehmen sind 1-Personen-Betriebe. Darunter können durchaus Besserverdienende sein und ein noch größerer Teil, der ein Auskommen hat. Die Masse dürften jedoch Menschen sein, die in den letzten Jahrzehnten durch Ausgliederungen, Erwerbslosigkeit, Prekarisierung und Digitalisierung in die „Selbstständigkeit“ gedrängt wurden. Nicht wenige dieser modernen Halbproletarier fristen ein Leben am Rande des Existenzminimums. Dieses Segment der „Selbstständigen“ überschneidet sich in hohem Maß mit der Arbeiterklasse.
Zugleich kommt es in den Betrieben zum Übergang von Teilen akademisch gebildeter Mittelschichten in die Arbeiterklasse. Eine Arbeiterklasse, die sich als revolutionäres Subjekt formiert, wird daher auch die Masse der Mittelschichtler ansprechen und in den Kampf um ein besseres Leben einbeziehen müssen. Antonio Gramscis Konzept des Stellungskriegs bleibt eine gute Richtschnur: „Was lässt sich von Seiten einer erneuernden Klasse diesem phantastischen Komplex von Schützengräben und Befestigungen der herrschenden Klasse entgegensetzen? Der Geist der Abspaltung, das heißt der fortschreitende Erwerb des Bewusstseins der eigenen geschichtlichen Persönlichkeit, ein Geist der Abspaltung, der bestrebt sein muss, sich von der protagonistischen Klasse auf die potentiellen verbündeten Klassen auszuweiten: all das verlangt eine komplexe ideologische Arbeit, deren erste Bedingung die genaue Kenntnis des Feldes ist, das leergemacht werden muss von seinem menschlichen Massenelement.“[7]
4. Wie entsteht Klassenbewusstsein?
Einige Kritiker behaupten, die antimonopolistische Strategie behindere die Entstehung von Klassenbewusstsein. Suggeriert wird, Klassenbewusstsein entstehe im unmittelbaren betrieblichen und gewerkschaftlichen Kampf gegen alle Unternehmer. (Nebenbei und wahrheitswidrig unterstellt das indirekt, antimonopolistischer Kampf bedeute, die ökonomischen Interessen der Arbeiterklasse nur im Großunternehmen zu vertreten.) Was ist Klassenbewusstsein? Es gibt ökonomisches, politisches und theoretisches Klassenbewusstsein. Lenin schreibt: „Das politische Klassenbewusstsein kann dem Arbeiter nur von außen gebracht werden, das heißt aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern. Das Gebiet, aus dem allein dieses Wissen geschöpft werden kann, sind die Beziehungen aller Klassen und Schichten zum Staat und zur Regierung, sind die Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen.“[8]
Wenn Kritiker des Antimonopolismus behaupten, Klassenbewusstsein entstehe im Kampf der „Arbeiterklasse gegen alle Unternehmer“, beschränken sie das Klassenbewusstsein, gewollt oder ungewollt, auf spontanes, ökonomisches Klassenbewusstsein. Ökonomisches Klassenbewusstsein ist die Keimform der Bewusstheit, aber es ist noch kein revolutionäres Bewusstsein. Letzteres erfordert die konkrete Analyse der politischen Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft und eine daraus abgeleitete revolutionäre Strategie. Den ökonomischen Kampf führt die Arbeiterklasse gegen alle Unternehmer. Um die führende Rolle in der Gesellschaft kann sie jedoch nur mit politischem Klassenbewusstsein kämpfen. Das setzt freilich die Erarbeitung einer revolutionären politischen Strategie voraus. Von einer solchen kann bei den Kritikern der Strategie der DKP keine Rede sein. Bestenfalls bieten sie eine Kombination von ökonomistischem Tageskampf mit abstrakter Sozialismuspropaganda an. Eine dazwischenliegende, politische Strategie des Herankommens an die Revolution haben sie nicht.
5. Die gegenwärtige Etappe
Imperialismus sei „monopolistischer Kapitalismus“. Diese Kurzdefinition, so Lenin 1916, enthalte die Hauptsache. Monopole sind die höchstmögliche Form der Vergesellschaftung unter der Herrschaft des Privateigentums. Das „höchste Stadium des Kapitalismus“ dauert nun schon über 100 Jahre und ist damit auch das längste Stadium. Seine heutige Gestalt erreichte der Imperialismus über mehrere, durch Krisen und Kräfteverhältnisse im Klassenkampf geprägte, sich unterscheidende Etappen. So unterscheidet sich die Etappe des „klassischen Imperialismus“, die die beiden Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise 1929ff. umfasst, deutlich von der Etappe 1945 bis zur Weltwirtschaftskrise 1974/75 und von der Etappe 1974/75 bis heute:
- In die Phase des klassischen Imperialismus fiel die Oktoberrevolution und begann der Aufbau des Sozialismus in einem Land. Als Ausweg aus der Weltwirtschaftskrise 1929ff. setzten die reaktionärsten Kreise des deutschen Monopolkapitals auf den Faschismus. In den USA kam es zum New Deal, einer Politik der Zugeständnisse und der Einbindung der Arbeiterklasse. Beide Varianten zielten erklärtermaßen auch darauf, zu verhindern, dass sich die Massen einem sozialistischen Ausweg aus der kapitalistischen Krise zuwandten.
- Nach dem Sieg über den Hitler-Faschismus 1945 gingen weitere Länder zum Sozialismus über. Im kapitalistischen Westen etablierten sich die USA als Führungsmacht. Die Etappe 1945 bis 1974/75 stand im Zeichen der Systemkonkurrenz. In diese Etappe fiel der Zusammenbruch des Kolonialsystems. In den reichen kapitalistischen Ländern überwog bei den herrschenden Klassen eine am New Deal orientierte Politik der Zugeständnisse und des „Klassenkompromisses“. In dieser Phase der „30 goldenen Jahre des Kapitalismus“ wurden viele der Sozialstaatsillusionen geprägt, die bis heute wirken.
- Im Gefolge der Krise 1974/75 stiegen die Bourgeoisien der reichen Länder aus der Politik der Zugeständnisse aus. Im harten Klassenkampf von oben setzten sie einen sozialreaktionären Umbau durch, für den sich die Bezeichnung „Neoliberalismus“ eingebürgert hat. Thatcher und Reagan leiteten diese Offensive des Monopolkapitals ein. Der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers verlieh ihr zusätzliche Schubkraft. Sie hält bis heute an. Auch nach der Krise ab 2007 setzt sich der neoliberale Umbau ungebrochen fort. Es kam in diesen mehr als 40 Jahren zu keiner „historischen Wende“ in fortschrittlicher Richtung, sondern die Rechtsentwicklung verstärkte sich in Schüben. Diese ungewöhnlich lange Dauer einer Rechtsentwicklung ist in der Schwäche der Arbeiterbewegung und der Linkskräfte begründet, die wiederum mehrere Ursachen hat. Eine davon sind Strukturveränderungen, die kämpferische Sektoren der Arbeiterklasse dezimierten (Wegfall Bergbau, Stahl, Rationalisierungen, Verlagerungen, Digitalisierung, Prekarisierungen). Dazu kamen der Wegfall der Systemkonkurrenz und das Verschwinden des Sozialismus in Europa. Sein Scheitern war überall mit einer gravierenden Schwächung, wenn nicht der Liquidierung kommunistischer Parteien verbunden, während die Sozialdemokratie zum Neoliberalismus überging.
Aufgrund der Einschätzung, dass die Zeit seit der Krise 1974/75 bis heute durch die Offensive des Monopolkapitals geprägt ist, bleiben wir bei der Schlussfolgerung unseres Programms, dass Abwehrkämpfe im Mittelpunkt der Kampfetappe stehen, in der wir uns befinden. Als Schwerpunkte nennen wir: Abwehr der Kriegsgefahr und ökologischer Zerstörungen, Verhinderung weiteren Sozial- und Demokratieabbaus, Kampf gegen Neonazismus. Im Abwehrkampf entwickeln wir demokratische Alternativen, die Lösungen im Interesse der Bevölkerung aufzeigen. Marx sagte einmal, dass die Menschheit sich nur Aufgaben stellt, die sie lösen kann[9]. Das gilt auch für punktuelle Erfolge im Abwehrkampf. Die dabei gemachten Erfahrungen, das Mehr an Selbstvertrauen und Organisiertheit befähigen die Menschen zu weitergehenden Handlungen, auch dazu, irgendwann die ganze Gesellschaft umzukrempeln.
6. Das strategische Ziel der Wende
Solange die Arbeiterbewegung und die progressiven Kräfte in der Defensive sind, bleibt unser strategisches Ziel, eine „Wende zu Friedens- und Abrüstungspolitik, zu demokratischem und sozialem Fortschritt“ zu erkämpfen. Das Ziel einer progressiven „Wende“ formulierten wir zum ersten Mal im (Mannheimer) Programm 1978, also kurz nach Ausbruch der Krise 1974/75. Im Leitantrag zum 22. Parteitag formulieren wir vorsichtiger: „Die Offensive des Monopolkapitals stoppen. Gegenkräfte formieren. Eine Wende zu Friedens- und Abrüstungspolitik, zu demokratischem und sozialem Fortschritt erkämpfen.“ In der Tat kann von einer „Wende“ erst die Rede sein, wenn Verschlechterungen nicht mehr nur gebremst und Alternativen nicht nur punktuell durchgesetzt werden, sondern wenn im gesellschaftlichen Maßstab Fortschritte erzielt werden. Erst dies wäre der Übergang von der Defensive zur Offensive.
Eine progressive Wende durchzusetzen, ist nicht einfach. Viele streben sie an, aber wir gehören zu den wenigen, die den Vorrang des außerparlamentarischen Kampfes betonen. Zu anderen Versuchen sagen wir im Leitantragsentwurf: „So erfreulich es auch ist, dass sich in einigen entwickelten kapitalistischen Ländern derzeit linke Wahlbewegungen formieren – für die Durchsetzung einer Wende in Richtung Fortschritt werden Wahlen und Wahlergebnisse keinesfalls ausreichen. Die Gefahr einer Anpassung auch linker Regierungen an die neoliberale Politik ist angesichts von Krisen und Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals und angesichts der immer schärfer werdenden internationalen Konkurrenz heute noch größer als in früheren Perioden, in denen das internationale Kräfteverhältnis erheblich günstiger war.“ Heute erfordert eine Wende ein ganz anderes Niveau der Mobilisierung und des Klassenkampfs bis hin zur Durchsetzung von Eingriffen in die Eigentumsrechte des Kapitals. „Herkömmliche soziale und demokratische Reformen rücken so näher an die Notwendigkeit grundlegender antimonopolistischer Umgestaltungen heran.“ (Programm 2006)
Im Kampf um die Wende gruppieren sich die sozialen Kräfte neu. Von der Art der Neugruppierung hängt ab, wie es weitergehen kann. „Ob und in welchem Tempo der Stopp der Offensive des Kapitals und der Übergang von der Defensive der antikapitalistisch-antimonopolistischen Kräfte zur Offensive zu weiteren Schritten bis hin zum revolutionären Bruch mit der Macht des Monopolkapitals führt und ob der Bruch in einer oder in mehreren Etappen erfolgt, hängt allein vom Kräfteverhältnis der Klassen ab. Es hängt ab von der Stärke und Reife, die die Arbeiterbewegung und ihre Verbündeten im Verlauf des Kampfes entwickeln sowie von weiteren subjektiven und objektiven Voraussetzungen, die im Einzelnen nicht vorhersagbar sind.“ (Leitantrag)
Wie im Programm 2006 lassen wir die Frage nach der Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit einer antimonopolistischen Demokratie offen. Eine solche setzt ganz spezifische Bedingungen voraus, nämlich eine revolutionäre Krise des staatsmonopolistischen Herrschaftssystems, in der die Massen zwar radikale Maßregeln gegen die Monopole wollen, ohne dass jedoch eine Mehrheit für den Sozialismus wäre.[10] Ob eine solche Situation irgendwann eintritt, darüber lässt sich heute nur spekulieren.
Die „Wende“ und die antimonopolistische Demokratie werden fälschlicherweise oft gleichgesetzt. Der Unterschied ist: Während die „Wende“ eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse im Kapitalismus ist, würde eine antimonopolistische Demokratie den „einheitlichen revolutionären Prozess des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus“ (Programm) einleiten. Sie würde an die Machtfrage heranführen, da sie die Erkämpfung einer revolutionär-demokratischen Staatsmacht voraussetzt.
In jeder Kampfetappe gehören zum theoretischen und ideologischen Klassenkampf, den wir führen müssen, immer auch Kapitalismusanalyse und -kritik, das Aufzeigen der Notwendigkeit des Sozialismus und seiner materiellen Vorbereitung, das Studium bisheriger und heutiger Versuche der Realisierung des Sozialismus.
(Beitrag auf Basis des Referats von B. Landefeld bei der DKP Hamburg am 14.10.2017)
[1] Kleines Politisches Wörterbuch, 4. Aufl. Berlin 1983, S. 937ff.
[2] Lenin, Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, LW 9, S. 90; Lenin, Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, LW 28, S. 300ff.
[3] LW 20, S. 206
[4] LW 25, S. 368 (Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll)
[5] LW 9, S. 43 (Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution) Kursivschrift BL
[6] 2015 stellten MU 2,24%, KU 97,32% der Unternehmen (88,29% Kleinstunternehmen und 9,03% KU). 52% der Unternehmen hatten keine Beschäftigten, waren also 1-Personen-Unternehmen. In allen KMU zusammen arbeiteten 58 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. (IfM)
[7] Antonio Gramsci, Gefängnishefte, Hamburg 1991, S. 374
[8] LW 5, S. 436 (Was tun?), kursiv bei Lenin
[9] „Eine Gesellschaftsform geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder zumindest im Prozess ihres Werdens begriffen sind.“ (Vorwort zur Kritik d. Politischen Ökonomie)
[10] Willi Gerns / Robert Steigerwald, Für eine sozialistische Bundesrepublik, Ffm 1977, S. 42f.
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