Freitag, 10. November 2017
Klassenkampf - Warum Konzerne und Monopolparteien den Mittelstand umwerben
Die CDU, seit Gründung der Bundesrepublik Hauptpartei des
deutschen Monopolkapitals, nennt den Mittelstand „Rückgrat der deutschen
Wirtschaft“. Ein FDP-Flyer verkündet: „Wer den Mittelstand stärkt, stärkt das
ganze Land“. Die Homepage des BDI, dessen Spitzenpersonal aus der
Finanzoligarchie stammt, preist den Mittelstand als „Herz der deutschen
Wirtschaft“ und lobt: „Mittelständische Unternehmen stemmen den größten Teil
der Wirtschaftsleistung, beschäftigen die meisten Mitarbeiter und tragen
erheblich zum unternehmerischen Steueraufkommen in Deutschland bei.“
Laut Institut für Mittelstandsforschung (IfM) gab es 2015 etwa
3.469.000 Unternehmen in Deutschland. Sie differenzierten sich in 15363 Großunternehmen
(= 0,44 Prozent aller Unternehmen) und 3.453.676 kleine und mittlere
Unternehmen oder KMU (= 99,56 Prozent). Die 0,44 Prozent Großunternehmen erbrachten
65 Prozent der Umsätze, die 99,56 Prozent KMU 35 Prozent. Die Machtstellung der
Großkonzerne ermöglicht ihnen, einen Teil der Wirtschaftsleistung der KMU abzuschöpfen,
durch Druck auf Preise und Löhne von Zulieferern, die oft technisch, ökonomisch
oder finanziell von ihnen abhängen. Diese Abhängigkeit ist für den BDI kein
Thema. Vielmehr schießt er gegen eine „Politik“, die sich „zunehmend dem
Verwalten des Wohlstands verschrieben“ habe und das mittelständische Herz der
Wirtschaft einschnüre.
Laut IfM arbeiten 58 Prozent der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in KMU, 42 Prozent in Großkonzernen.
Doch auch hier muss man näher hinsehen, denn die 99,56 Prozent KMU setzen sich
aus 88,2 Prozent Kleinstbetrieben (0-9 Beschäftigte), 9 Prozent Kleinbetrieben
(10-49 Beschäftigte) und 2,2 Prozent Mittelbetrieben (50-499 Beschäftigte)
zusammen. 52 Prozent der Unternehmen haben gar keine Beschäftigten. Es sind
1-Personen-Unternehmen, Ich-AGs, Solo-Selbstständige, die oft nur deshalb „selbstständig“
sind, weil sie in die Prekarität abgedrängt wurden. Gewiss sind darunter auch
Gutverdienende. Aber eben auch moderne „Halbproletarier“.
Bei den Steuern spricht der BDI nur vom „unternehmerischen
Steueraufkommen“. Hauptquellen der Steuereinnahmen sind Lohnsteuern,
Umsatzsteuern und Verbrauchssteuern. Dass beim unternehmerischen
Steueraufkommen die KMU womöglich stärker geschröpft werden als Großkonzerne wäre
angesichts Steueroasen, Briefkastenfirmen und Schlupflöchern, die Konzerne und
Reiche für sich nutzen, nicht überraschend. Eine Schätzung der Hans-Böckler-Stiftung
kam 2012 auf jährlich 100 Milliarden Euro Verlust durch Steuerhinterziehung in
Deutschland.
Warum wetteifern Politiker und Verbandsfunktionäre des
Monopolkapitals darin, dem „Mittelstand“ Lob und Fürsorge zukommen zu lassen? Das
ist Teil des Klassenkampfs von Oben. Die Monopolbourgeoisie stellt etwa 0,1
Prozent der Bevölkerung, muss also stets eine genügend breite soziale Basis für
die Akzeptanz ihrer Politik sichern. Neben der sozialpartnerschaftlich
eingebundenen Arbeiteraristokratie gehört der idealisierte „Mittelstand“ zu ihren
bevorzugten Stützen in der Bevölkerung.
Die Gegenstrategie brachte Antonio Gramsci mit dem Konzept
des Stellungskriegs auf den Punkt: „Was
lässt sich von Seiten einer erneuernden Klasse diesem phantastischen Komplex
von Schützengräben und Befestigungen der herrschenden Klasse entgegensetzen?
Der Geist der Abspaltung, das heißt der fortschreitende Erwerb des Bewusstseins
der eigenen geschichtlichen Persönlichkeit, ein Geist der Abspaltung, der
bestrebt sein muss, sich von der protagonistischen Klasse auf die potentiellen
verbündeten Klassen auszuweiten: all das verlangt eine komplexe ideologische
Arbeit, deren erste Bedingung die genaue Kenntnis des Feldes ist, das
leergemacht werden muss von seinem menschlichen Massenelement.“ (Gefängnishefte, 374)
Kolumne von Beate Landefeld in Unsere Zeit vom 10.11.2017
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