Samstag, 9. Dezember 2017
Sorgen einer Minderheit - Ein Vorstoß des CDU-Wirtschaftsrats
Der CDU-Wirtschaftsrat ist nicht irgendwer. Die in ihm
zusammengeschlossenen rund 11000 Unternehmer sind der organisierte Kern des
Wirtschaftsflügels der politischen Hauptpartei des deutschen Monopolkapitals.
Den vom Wirtschaftrat jährlich ausgerichteten Wirtschaftstag der Union nannte
das Handelsblatt einmal die „Jahreshauptversammlung der deutschen Wirtschaft“. Die
Führungsgremien des Wirtschaftsrats sind mit Vertretern des Monopolkapitals
besetzt. Werner M. Bahlsen, einer der 500 reichsten Deutschen, steht an der
Spitze. Die Frage „Was macht der Wirtschaftsrat?“ beantwortet die Homepage des
Zusammenschlusses wie folgt: „Die Führungskräfte der Wirtschaft sind zahlenmäßig
immer eine Minderheit. Um ihre berechtigten Anliegen dennoch durchsetzen zu
können, müssen sie über bessere Informationen, eine bessere Organisation und
bessere Argumente verfügen als andere.“ Das allerbeste Argument dürfte dabei
die ökonomische Macht der „Führungskräfte“ sein.
Am gleichen Tag als die Medien nach Bellevue schauten, wo Präsident
Steinmeier die Spitzen von CDU, CSU und SPD empfing, um ihnen ihre „Verantwortung
für das Staatswohl“ klarzumachen, empfahl das Präsidium des CDU-Wirtschaftsrats
einstimmig, „die Option einer Minderheitsregierung unter der Führung von Angela
Merkel ernsthaft zu prüfen und nicht vorschnell erneut in eine ‚große‘
Koalition zu gehen“. Für seine Empfehlung hat der Wirtschaftsrat Argumente:
„Eine ‚große‘ Koalition wird nach allem, was wir von den Sozialdemokraten
hören, nur um den Preis weiterer unbezahlbarer Leistungsversprechen in der
Sozialpolitik zu bekommen sein.“ Dieses Geld werde stattdessen für Bildung und
Innovation gebraucht.
Das „Staatswohl“ definiert der CDU-Wirtschaftsrat nicht als vermeintliche
Regierungsstabilität durch die sichere Mehrheit einer GroKo. Vielmehr könne gerade
der Zwang der Regierung, immer wieder um Mehrheiten zu ringen, „erheblich zur
Überwindung der Politikverdrossenheit in Deutschland beitragen und die
parlamentarische Demokratie stärken“. Demgegenüber würde eine weitere große
Koalition, so der Wirtschaftsrat, die Volksparteien CDU/CSU und SPD weiter
schwächen, deren Wähleranteil schon jetzt zusammen nur noch bei gut 50 Prozent
liege. Der CDU drohe sogar die Gefahr, bei der nächsten Wahl unter 30 Prozent
abzurutschen. „Den Nutzen hätten die Ränder rechts und links.“ Eine solche
„parteipolitische Polarisierung und Spaltung“ widerspreche „den grundlegenden
staatspolitischen Interessen unseres Landes“. So argumentierte bis vor Kurzem
auch Martin Schulz.
Ist der Vorstoß des CDU-Wirtschaftsrats ernst gemeint oder nur
als Druckmittel gedacht, um der SPD zu signalisieren, sie sei entbehrlich und möge
ihre Wünsche herunterschrauben? Martin Schulz jedenfalls hat die Steilvorlage
von ungewohnter Seite nicht genutzt,
um seine bisher geäußerten Argumente gegen die GroKo zu stützen. Er forderte
„mehr Zeit“ für das Nachdenken der SPD. Die CDU-Spitzen schwiegen zur Erklärung
ihres Wirtschaftsrats, zumindest öffentlich. Volker Kauder empfahl, der SPD
„Zeit“ zu geben. Bürgerliche Medien wussten von Signalen des französischen
Präsidenten Macron und des griechischen Ministerpräsidenten Tsipras an Martin
Schulz zu berichten. Es sei darum gegangen, wie die SPD in der Bundesregierung
„europäische Reformen“ anstoßen könne. Offenbar wird die EU-Karte gespielt, um
Widerstände gegen die große Koalition innerhalb der SPD zu brechen.
Angela Merkel fährt wie gewohnt „auf Sicht“. SPD-Abgeordnete
wollen statt Neuwahlen ihren Parlamentssitz halten. Sollte der
CDU-Wirtschaftsrat also ernsthaft gegen eine GroKo-Neuauflage sein, weil er
sich um die langfristige Bindekraft der bürgerlich-parlamentarischen Ordnung sorgt,
dann hat er derzeit zu wenige Zuhörer.
Kolumne von Beate Landefeld in der UZ vom 8.12.2017
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