Freitag, 8. Juni 2018
Merkel wird "sprechfähig" und antwortet Macron
Das Festhalten der EU am von Trump aufgekündigten Iran-Deal wird
unterlaufen. Angefangen mit Total und Siemens bekennt ein Großkonzern nach dem
anderen, sich an die US-Sanktionen gegen den Iran halten zu wollen. Baltische
Länder und Polen, die die USA als ihren wichtigsten Bündnispartner sehen,
stehen ohnehin nur halbherzig hinter der EU-Linie. Bundeskanzlerin Merkel tat
von vornherein kund, es nütze nichts, die eigenen Kräfte zu überschätzen. Mit
der vielbeschworenen gemeinsamen Außenpolitik der EU, gar auf „Augenhöhe mit
den USA“ ist es nicht weit her.
Dazu hat die Trump-Regierung, trotz Bitten und Betteln der
„Partner“ Macron und Merkel, trotz Frau Malmströms Drohungen, die anvisierten
Zölle gegen Stahl- und Aluminiumimporte in Kraft gesetzt. Sie treffen die EU nicht
so stark wie Kanada und Brasilien, die die Hauptlieferanten der USA sind. Von den
EU-Ländern treffen sie am stärksten Deutschland. Die Sorge Berlins, der
Unternehmerverbände und der Konzernetagen gilt aber weniger den Stahlzöllen als
der Gefahr, dass der Handelskonflikt eskalieren und Trumps Drohung, den Import
von Autos hoch zu verzollen, wahr werden könnte. Daher möchte die
Bundesregierung lieber deeskalieren und verhandeln, während Frankreich, das
keinen Exportüberschuss gegenüber USA hat, für harte Gegenmaßnahmen der EU plädiert.
Trump will besonders die deutschen Exportüberschüsse treffen. Berlin reiht sich
in das „Klug, entschieden, gemeinsam“ der EU ein.
In Italien melden sich die mit der EZB-Niedrigzinspolitik
mühsam gezähmten zentrifugalen Kräfte der Eurozone zurück. Die neue rechtspopulistische
Regierung aus 5-Sterne-Bewegung und Lega pfeift auf den „Stabilitätspakt“, will
den Sparkurs beenden. Sie plant Steuersenkungen und ein Bürgereinkommen von 780
Euro. Gegen Steuersenkungen hat das EU-Finanzkapital nichts. Der Chefvolkswirt
der Allianz Michael Heise lobt sie sogar im Handelsblatt. (30.5.) Das Bürgereinkommen
und die Rücknahme von Rentenkürzungen sind die eigentlichen Steine des
Anstoßes. Italiens Anleiherenditen steigen. Zunächst legt Präsident Matarella
ein Veto gegen den designierten „eurokritischen“ Finanzminister ein. Als Matarella
eine „technische Regierung“ vorschlägt, erinnert das an die akute Eurokrise
2011. Doch nach der Änderung der Finanzminister-Personalie vereidigt er die
Populisten.
2011 sollte eine „Fachleute-Regierung“ unter Mario Monti
Italien nach stabilitätspolitischen EU-Regeln aus der Krise führen. Kanzlerin
Merkel, Frankreichs Sarkozy und der neue EZB-Chef Draghi stellten sich
demonstrativ hinter Monti. Als Ende Mai 2018 wieder eine Techniker-Regierung als
Option genannt wird, bleibt es in Berlin mucksmäuschenstill. Berlin habe sich,
so die Frankfurter Rundschau, einen Maulkorb verpasst. „Bloß nichts Schlechtes
über Italien sagen“ scheine die Linie zu sein, denn das mache alles nur noch
komplizierter. (30.5.) Was die FR nicht sagt: Der Wahlsieg der Rechtspopulisten
gehört zu den Kollateralschäden des Kurses der „inneren Abwertung“, den Monti 2011
einleitete. Die sozialdemokratische PD, die den Kurs als Regierungspartei in
kritischer EU-Loyalität mittrug, schrumpfte auf 18,7 Prozent.
„Entgleitet uns Europa?“ wird in einigen Medien gefragt. An
Merkel ergehen Appelle, doch endlich auf Macrons Ideen zur „Neugründung“ zu
antworten. Nach acht Monaten ist die Kanzlerin in der Frage nun „sprechfähig“ (FAZ
3.6.). Die meisten ihrer Gegen-Vorschläge nähern sich Macron, ohne bisherige
Pfade zu verlassen: Mehr EU-Grenzsicherung, gemeinsame Asyl- und
Entwicklungspolitik, gemeinsame militärische Eingreiftruppe, Umwandlung des ESM
zum europäischen Währungsfonds. Aus Macrons Eurozonenhaushalt wird ein
„Investivhaushalt für die Eurozone“ im unteren zweistelligen Milliardenbereich.
Die Euroskeptiker werden begeistert sein.
UZ-Kolumne von Beate Landefeld vom 8.6.2018
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