Freitag, 13. Dezember 2019
Verdächtig harmonisch. SPD will aus der „neoliberalen Pampa“ heraus
Das Mitgliedervotum für Saskia Esken und Norbert
Walter-Borjans zeigt, dass eine Mehrheit der aktiven SPD-Mitglieder dem bisherigen
Partei-Establishment nicht zutraut, die SPD aus der Krise zu führen. Der SPD-Parteitag
beschloss einen Leitantrag, den der alte Vorstand zusammen mit dem neuen
Führungsduo entwarf. Eine Spaltung der Partei sollte vermieden werden. Tatsächlich
verlief der Parteitag verdächtig harmonisch. Der fast einstimmig verabschiedete
Leitantrag soll, wie Saskia Esken formulierte, der Fortsetzung der GroKo „eine
realistische Chance“ geben. Mit CDU/CSU will man über Nachbesserungen
beim Klimapaket, Infrastrukturinvestitionen und einen höheren Mindestlohn sprechen.
Die Forderungen an die künftige Arbeit der GroKo blieben vage. Kevin Kühnert,
der bekannteste GroKo-Gegner, bewarb den Leitantrag mit dem Argument, man könne
der neuen SPD-Führung vertrauen, dass sie bezüglich der GroKo künftig richtige
Entscheidungen treffe.
In Umfragen äußern mehr als 60 Prozent der Bevölkerung regelmäßig,
die GroKo solle bis zum Ende der Legislaturperiode arbeiten. Zugleich sind etwa
drei Viertel mit der Arbeit der GroKo „wenig bis gar nicht zufrieden“. Das
scheint sich zu widersprechen. Doch was für eine Regierung käme bei den heutigen
Kräfteverhältnissen im Fall des Zerbrechens der GroKo? Ein neuer Anlauf für
Jamaika? Eine schwarze oder schwarz-gelbe Minderheitsregierung, die mit wechselnden
Mehrheiten regiert? Damit liebäugeln Friedrich Merz und Teile des CDU-Wirtschaftsflügels.
Letztere Variante könnte sich als informeller Türöffner für die AfD und ihr Projekt
„bürgerliche Koalition“ entpuppen. Die Grünen sehen in Neuwahlen die „sauberste
Lösung“. SPD und CDU wissen, dass zurzeit nur Grüne und AfD von Wahlen profitieren.
Bei der Bevölkerungsmehrheit löst ein Sturz der GroKo zurzeit keine Hoffnung
auf Fortschritt aus.
Gegen die GroKo spricht aus der Sicht von CDU/CSU und SPD,
dass beide von Wahl zu Wahl weiter verlieren. Die bürgerliche Demokratietheorie
sieht im Schrumpfen der „politischen Mitte“ und dem Wachsen der „Ränder rechts
und links“ einen langfristigen Verlust an Stabilität. Diese Brille reduziert die
Realität der antagonistischen Klassengesellschaft auf die Formen des nach Kompromiss
strebenden bürgerlichen Parlamentarismus. Auch die SPD ist in diesem Denkmodell
befangen, hat aber noch genügend Mitglieder, die im Berufsleben oder bei
Gesprächen an Infotischen erfahren, dass der wahre Grund des Schrumpfens ihrer
Partei weniger der GroKo anzulasten ist als der Agenda 2010, beschlossen 2003
von einer SPD-Grüne-Koalition unter dem Beifall von CDU/CSU und Kapitalverbänden.
Schon Andrea Nahles war bestrebt, „Hartz IV hinter sich zu lassen“. Der Parteitag
setzte diesen Kurs fort.
Hartz IV sei unter Schröder passend gewesen, aber heute
nicht mehr zeitgemäß. Auf dieser halbherzigen Linie lassen sich die tiefen
Einschnitte, die die neoliberale Deregulierung, Prekarisierung, Privatisierung
und Umverteilung von unten nach oben brachte, nicht einfach wieder aus der Welt
schaffen. Das käme dem Versuch gleich, den ausgerufenen „neuen Sozialstaat“
mitten in der „neoliberalen Pampa“ (Walter-Borjans) zu errichten. Erfreulich
und verdienstvoll ist das Drängen vor allem der jungen SPD-Mitglieder, die
soziale Frage wieder in den Mittelpunkt zu rücken, für Reformen zu Lasten der
Reichen zu streiten. Viele gute Forderungen wurden formuliert.
Sofern sie nur als Wahlprogramm dienen, werden sie Illusion
bleiben. Sie können aber auch den gemeinsamen außerparlamentarischen Kampf
erleichtern, zur dringend nötigen Stärkung der Arbeiterbewegung, der
Friedensbewegung, sozialer Bewegungen im Gesundheitswesen, für bezahlbares
Wohnen und mehr Klimaschutz beitragen. Wie sonst ließen sich heutige
Verhältnisse nach links verschieben?
UZ-Kolumne von Beate Landefeld vom 13. Dezember 2019
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