Am 5.4.2018 schrieb Christina Hebel, Moskau-Korrespondentin des ‚Spiegel‘: „Die britische Regierung muss im Fall des vergifteten Ex-Agenten Skripal endlich Beweise vorlegen. Tut sie es nicht und leistet sich Fehler wie zuletzt, spielt sie dem Kreml in die Hände.“ Die Beweise kamen nie. Aufklärung ist eben nicht die Funktion solcher Inszenierungen, weder damals im Fall Skripal, noch heute im Fall Nawalny. Es sind Kampagnen zwecks Erzeugung von Spannungen. Medien greifen vermeintliche oder wirkliche Verbrechen auf, machen sich selbst zu Anklägern und zugleich zu Richtern und verhelfen interessierten politischen Kreisen zur selbstgerechten Henkerrolle. Im Fall Nawalny fordert die Bundesregierung zwar Aufklärung, verhindert diese aber zugleich. Die Kooperation von Ermittlungsbehörden wird sabotiert und durch einen Medienkrieg ersetzt. Ob Nawalny vergiftet wurde und falls ja, durch wen – sollte es jemals aufgeklärt werden, wird es diese Medien nicht mehr interessieren.
Gegenwärtig können wir sehen, wer die Nawalny-Kampagne wofür
ausnutzt. Gregor Gysi warf die Vermutung in den Raum, hinter dem Anschlag
könnten mächtige Gegner der Ostseepipeline Nord Stream 2 stecken. Craig Murray,
früherer britischer Botschafter, sieht die USA und Saudi-Arabien als wichtigste
Pipeline-Gegner an. Aber auch die bisherigen Gas-Transitländer Polen und
Ukraine kämpfen dagegen. Warum aber mischt Merkel, die Nord Stream 2
verteidigt, an prominenter Stelle bei der Kampagne mit? Es geht eben nicht nur
um die Pipeline, sondern um die straffere politische Formierung der EU. So
appelliert der stramm russophobe CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen mit Blick
auf den Fall Nawalny an die Regierungen Deutschlands und Frankreichs, in der
Russland-Politik keine Alleingänge mehr zu unternehmen. Frankreich solle nicht
länger auf eine bilaterale strategische Partnerschaft mit Russland setzen. Deutschland
solle die Gaspipeline Nord Stream 2 nicht fertigstellen.
Seit Wochen fordert Annegret Kramp-Knarrenbauer im Rahmen
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine „gemeinsame Bedrohungsanalyse“ und
einen „strategischen Kompass“ der EU gegenüber Russland zu erstellen, mit Hilfe
der Geheimdienste. Jetzt kann der Fall Nawalny der Vereinheitlichung der „EU-Bedrohungsanalyse“
einen mächtigen Schub nach vorn verpassen. Sorgfältig achtet man darauf, dass
EU und NATO mögliche „Strafmaßnahmen“ gegen Russland kollektiv beraten. Dass
die deutsche Regierung für die „gemeinsame EU-Außenpolitik“ den Fertigbau von Nord
Stream 2 opfert, ist eher nicht zu erwarten. Dennoch kriegt der Teil der
Bourgeoisie, der wie der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft immer lauter die
Aufhebung der Russland-Sanktionen fordert, einen Schuss vor den Bug. Den Falken
aus der CDU und den Grünen dient der Fall Nawalny dazu, Putin als Fürsten der
Finsternis zu dämonisieren, der mit „Wandel durch Handel“ nicht zu bändigen
sei.
Mit dem Bild des „aggressiven“ Putin will man auch dem in der
Bevölkerung immer noch vorherrschenden „Pazifismus“ beikommen. Wer sachliche
oder gar freundschaftliche Beziehungen zu Russland will, macht sich als
„Putin-Troll“ verdächtig. Mit Ironie beschreibt Craig Murray, was uns droht: „Sobald
Nawalny in Berlin war, war es nur eine Frage der Zeit, ehe man erklärte, dass
er mit Nowitschok vergiftet wurde. Die Russenfeinde sind entzückt. Dies
beseitigt natürlich die letzten Reste eines Zweifels daran, was mit den
Skripals passiert ist, und beweist, dass Russland isoliert und zu Tode
sanktioniert werden muss und wir unzählige Milliarden für Waffen und
Sicherheitsdienste ausgeben müssen. Wir müssen auch die Überwachung im Inneren
verstärken und gegen abweichende Meinungen im Internet hart durchgreifen“
(Nachdenkseiten 4.9.2020). Stellen wir uns auf raue Sitten und raue Zeiten ein!
Beate Landefeld
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen