„Die Lage in der Ukraine ist düster. Das Ende der Kursk-Offensive ist zwar noch nicht absehbar, aber wenn der Krieg so weitergeht wie bisher, läuft alles auf einen russischen Sieg durch ukrainische Erschöpfung hinaus.“ So leiten die Thinktank-Damen Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik und Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations ihren Aufsatz „Die Verantwortung des Westens für die Zukunft der Ukraine“ ein. Sie stellen einen Plan zur Vermeidung eines Worst-Case-Szenarios vor. Wer erwartet, nun sei man endlich zu Verhandlungen mit Russland bereit, irrt. Man will unter sich bleiben. Es geht um Verhandlungen zwischen den Westmächten und der Ukraine. Russland ist der ignorierte Elefant im Raum.
Die von den Expertinnen ersonnene Lösung ist illusionär. Danach
ließe sich mit mehr Militärhilfe für die Ukraine ein Patt-Zustand erreichen, der
bis zur für 2025 prognostizierten Erschöpfung der Russen hält. Zudem greifen EU
und NATO der Westukraine mit einem Paket „Solidarität und Wohlstand,
abgesichert durch Eingliederung in euro-atlantische Strukturen“ unter die Arme.
Die Westukraine bliebe „frei“ und müsste territoriale Verluste, deren
Rückeroberung besseren Zeiten vorbehalten sei, nicht anerkennen. Das Irrealste daran
ist die Annahme, Russland schaue passiv dabei zu.
Real liegt seit dem Scheitern der ukrainischen Sommeroffensive
2023 die militärische Initiative bei der russischen Armee. Sie ist im Donbass
auf dem Vormarsch. Versuche der NATO–Berater, der Ukraine zur „Verbesserung
ihrer Verhandlungsposition“ zu verhelfen, blieben erfolglos. Weder die
westlichen Waffen noch die mit immer rigiderem Zwang rekrutierten Soldaten
reichen, um die täglichen Verluste zu ersetzen. Das Blitzkriegs-Abenteuer in Kursk
hat den russischen Vormarsch im Donbass noch beschleunigt. Spektakuläre Manöver,
Langstreckenraketenschläge „tief in russisches Gebiet“, teurere Waffen,
Terroranschläge gegen die AKWs in Saporischschja und Kursk steigern Spannungen
und Gefahren, ändern aber nichts am Frontverlauf.
Westliche Diplomatie bleibt indes darauf beschränkt, Druck
auf Russland zu organisieren, etwa, indem man dessen Partner ebenfalls unter
Druck setzt. Die bisherigen „Peace Summits“ sollten im Globalen Süden für
Selenskyjs „Friedensformel“ werben, die einen Rückzug Russlands hinter die
Grenzen von 1991 zur Bedingung für Verhandlungen macht. Auf dem letzten Summit
weigerten sich die wichtigsten Länder des Südens, ohne Russland weiter mitzuspielen.
Jetzt propagiert Selenskyj einen zweiten Gipfel in diesem Jahr, zu dem auch Russland
eingeladen werden könne.
In Russland wurden nach Kursk Zweifel an Kiews
Verhandlungsfähigkeit laut. Dazu kommen rechtliche Zweifel wegen eines Verhandlungsverbots
durch das ukrainische Parlament. Wiederholt forderte Putin, zuerst das Verbot
aufzuheben. Mögliche inhaltliche Basis ist für den Kreml das im März 2022 zwischen
Ukraine und Russland ausgehandelte Istanbul-Kommuniqué, das die Neutralität der
Ukraine und ihren dauerhaften Verzicht auf NATO-Beitritt, vorsah. Bei einem Istanbul.2
sei der neue Verlauf der Grenzen zu beachten. Putin bot einen Waffenstillstand
gegen den Rückzug der ukrainischen Armee aus den vier Oblasten an, die im
Herbst 2022 der RF beitraten.
Auf dem Eastern Economic Forum am 6. September wurde Putin gefragt,
welche Länder Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland moderieren könnten. Er
nannte China, Indien und Brasilien. „Ich habe keine Zweifel, dass die Führer
dieser Länder, zu denen wir vertrauensvolle Beziehungen haben, mit ehrlichem
Eifer helfen wollen, alle Details des komplizierten Prozesses zu entwirren, der
mit dem Coup d’État in der Ukraine 2014 begann, wie ich erinnern möchte. Da begann
alles.“ Putin legt Wert auf den Rückhalt der BRICS. Selenskyj baut auf den
Westen.
Die Kolumne von Beate Landefeld erschien zuerst in der UZ vom 13.9.2024
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