Samstag, 24. Juli 2010

Walter Listl und der Transnationalisierungsindex

Der Transnationalisierungsindex (TNI) wurde von der UNCTAD entwickelt. Laut Walter Listl mißt er: Anteile von „Umsatz, Beschäftigten und Aktienstreuung außerhalb der Heimat der TNKs” im Verhältnis zu den entsprechenden Gesamtgrößen. Laut UNCTAD, die auch die Statistik über die internationalen Direktinvestitionen führt, mißt er Anteile von Umsatz und Beschäftigten im Ausland und das Auslandsvermögen (u.a. Filialen) der TNKs an den jeweiligen Gesamtgrößen. Der TNI enthält also keinerlei Indikator zur Aktionärsstruktur – weder zur Streuung, noch zur internationalen Verteilung. Der TNI ist daher gänzlich ungeeignet als Beleg für eine Internationalisierung des Eigentums im Sinne einer Auflösung der nationalen "Kommandohöhen" (Hilferding).

Diese liegen wie eh und je überwiegend (zu etwa vier Fünfteln, wenn man nach der Verteilung der Muttergesellschaften transnationaler TNKs geht) bei den Finanzoligarchien der traditionellen imperialistischen Zentren. Die weltweite Finanzoligarchie schwebt nicht über den internationalen Wassern. Sie setzt sich aus den Finanzoligarchien der großen kapitalistischen Staaten einschließlich ihrer Notenbanken, Aufseher und „Wettbewerbsbehörden” zusammen, die auch ihre Delegierten in die internationalen Gremien der Finanzoligarchie, wie IWF, Weltbank, WTO und BIZ entsenden.
Das Unternehmen mit dem weltweit absolut höchsten Auslandsvermögen ist der US-Konzern General Electric (GE), der Hauptkonkurrent von Siemens. GE verfügt über fast das Vierfache an ausländischen Vermögenswerten, seine Umsätze und die Zahl seiner Beschäftigten im Ausland sind höher und auch seine Marktkapitalisierung ist größer als die von Siemens. Aber GE hat nur einen TNI von 50%, gegenüber einem TNI von 73% von Siemens.
Der Fall GE zeigt: Ein großer Heimatmarkt, wie der US-Markt, ist von sehr großem Vorteil in der Konkurrenz auf allen Weltmärkten. Konzerne mit relativ kleinem Heimatmarkt, wie Siemens, benötigen dagegen eher einen hohen TNI. Ein TNI von 62% bei den weltweit 100 größten bedeutet, daß sie im Schnitt 38% der in den TNI eingehenden Aktivitäten in ihrem Heimatmarkt realisieren. Die 62% verteilen sich auf alle übrigen Länder der Welt, in denen sie Töchter haben.
Die deutschen Konzerne betrachten den deutschen Binnenmarkt schon lange nicht mehr als ihr Hauptabsatzgebiet. Seit Jahrzehnten bemühen sie sich mit Produktionsstandorten in den USA oder deren Nachbarstaaten, wie Mexiko, um Präsenz im US-Markt, dem immer noch größten Binnenmarkt der Welt. Im vorigen Jahrzehnt sind Standorte in den BRIC-Staaten dazugekommen. Jeder Konzern, der mithalten muß, will heute auch in Brasilien, Rußland, Indien und China "aufgestellt sein". Siemens und Co. setzen gerade auch in der derzeitigen Krise vor allem auf die Konjunkturprogramme der USA und Chinas, während sie zugleich das Abwürgen des Binnenmarkts in der EU durch Sparprogramme der Regierungen befürworten, weil dadurch die Lohnkosten in der Heimat niedrig gehalten werden.

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