Vorabdruck. Über die Kapitalstrukturen in der deutschen Medienwirtschaft. Teil I: Zeitungs- und Buchverlage
Von Gert HautschDie moralische Qualität von Leuten wie Merkel, Seehofer oder Guttenberg ist die eine Sache. Daß aber ein Medienunternehmen aus eigener Machtvollkommenheit heraus derart ins politische Geschehen eingreift, moralische und juristische Maßstäbe setzt und darüber entscheiden will, ob jemand Minister bleibt oder nicht, war beängstigend. Damit wurde in seltener Klarheit deutlich, was es bedeuten kann, wenn privatkapitalistische Verlage zu Großkonzernen werden. Und was damit gemeint ist, wenn diese sich dann auf die Pressefreiheit berufen.
Im Mai 1965 schrieb der kritische Publizist Paul Sethe den vielzitierten Satz: »Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.« Und weiter: »Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher.« Dem ist auch heute kaum etwas hinzuzufügen, höchstens daß die Zahl 200 vermutlich halbiert werden darf.
Konstante Spitzengruppe
An den Machtstrukturen in der deutschen Medienwirtschaft hat sich seit Paul Sethes Zeiten nichts wesentliches verändert – auch nicht durch das Verschwinden der DDR. Die Rangfolge der Namen in der Spitzengruppe verschob sich zwar hin und wieder, hauptsächlich durch Zu- und Verkäufe von Firmen, aber im großen und ganzen blieb die Besetzung gleich (Tabelle 1).Die einzig echte Erschütterung hat es 2002 gegeben, als die Kirch-Gruppe zusammenbrach. Sie war der zweitgrößte deutsche Medienkonzern und hielt unter anderem 40 Prozent am Axel-Springer-Konzern. Aus diesem Bankrott sind zwei neue Konzerne hervorgegangen, die ihrerseits Plätze in der Spitzengruppe besetzen: Die Fernsehkonzerne ProSiebenSat.1 Media (P7S1) und Sky Deutschland (vormals Premiere). Sie befinden sich im Besitz von Finanzinvestoren (P7S1) bzw. des US-Medienmoguls Rupert Murdoch (Sky).
Volkswirtschaftlich betrachtet ist die Medienindustrie nicht übermäßig bedeutsam, aber auch nicht unbeachtlich. Ganz grob geschätzt stellt sie ein Umsatzvolumen von 60 Milliarden Euro. Über die Beschäftigtenzahl gibt es keine verläßlichen Angaben.
Die meisten Mediensparten wurden 2009 von der Finanz- und Wirtschaftskrise hart getroffen, weil die Werbebudgets zusammengestrichen worden waren. Die Nettowerbeerlöse (nach Abzug von Rabatten und Provisionen) waren um 15,6 Prozent geschrumpft, 2010 gab es wieder einen Zuwachs um 2,7 Prozent. Für das Privatradio und -fernsehen sowie die Onlineangebote sind Werbeerlöse die Haupteinnahmequelle, für andere Sparten eine wesentliche. Nur die Buchproduktion ist nicht betroffen. Entsprechend laut waren 2009 die Klagen der Verlags- und Senderchefs. Diese vergaßen allerdings meist zu sagen, daß sie schon seit Jahren mit Personalabbau und Preiserhöhungen gegenzusteuern wissen. Nur in wenigen Fällen sind im Krisenjahr Verluste geschrieben worden, meistens waren nur die Profitraten niedriger als gewohnt.
Auch wenn sich in der Spitzengruppe der Medienkonzerne wenig verändert hat, finden in der Branche doch zahlreiche Übernahmen und Beteiligungen statt (Tab. 2). Dieser »Markt« ist 2009 deutlich geschrumpft und hatte sich 2010 noch nicht wieder erholt.
Für die wirtschaftliche Potenz eines Medienunternehmens ist der Marktanteil (Leser- oder Käuferzahl, Zuschauerquote, Nutzerzahl) der konzerneigenen Produkte entscheidend. Wer eine hohe »Reichweite« zu bieten hat, kann für den Werbeplatz höhere Preise verlangen und entsprechend größere Teile vom Reklamekuchen abschneiden. Eine Struktur, die sich wechselseitig verstärkt. Was das in den wichtigsten Mediensparten bedeutet, sei nachfolgend skizziert.
Platzhirsch Axel Springer
Zeitungen genießen ein recht hohes Ansehen in der Bevölkerung und in der Öffentlichkeit. Einer Studie der Agentur Enigma GfK aus dem Jahr 2008 zufolge haben Jugendliche (12 bis 19 Jahre) auf die Frage, welchem Medium sie bei widersprüchlicher Berichterstattung am ehesten trauen würden, zu 43 Prozent die Tageszeitung genannt. Das Fernsehen kam mit 30 Prozent auf Platz zwei. Aber die Zeitungen leiden unter Akzeptanzproblemen. Die Zahl der Leser und der Käufer nimmt ab, besonders beim jüngeren Publikum. Zwischen 1999 und 2010 ist die verkaufte Auflage von 24 auf 19,4 Millionen gesunken.Parallel dazu gehen die Anzeigeneinnahmen zurück. Haben sich die Abonnementszeitungen 2000 noch zu 54 Prozent aus Reklame finanziert, so waren es 2008 nur noch 45 Prozent. 2009 sank der Anteil krisenbedingt sogar auf 41 Prozent. Vor diesem Hintergrund findet auf dem Zeitungsmarkt ein anhaltender Zentralisationsprozeß des Kapitals statt. So wurden 2007 die Süddeutsche Zeitung und der Schwarzwälder Bote von der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) übernommen, M. DuMont Schauberg (MDS) kaufte 2006 die Mehrheit an der Frankfurter Rundschau und 2009 u. a. die Berliner Zeitung und die Hamburger Morgenpost. Ende 2010 ging die Main Post an die Mediengruppe Pressedruck Augsburg. Springer hat sich 2009 von den meisten seiner Regionalzeitungen getrennt. Daneben gab es etliche Übernahmen und Beteiligungen bei kleineren Zeitungen. Einige Titel sind eingestellt worden.
Die fünf größten Zeitungsverlage verkaufen 44 Prozent der Gesamtauflage aller Tageszeitungen, Axel Springer allein fast ein Fünftel (Tab. 3). Die Nummer acht in der Rangliste ist die DDVG, die Medienholding der SPD. Bei der Boulevardpresse, die wegen ihres Kampagnenjournalismus politisch besonders brisant ist, sieht es noch bedrohlicher aus: Springer allein liefert 80 Prozent aller Zeitungen, vor allem wegen Bild (2,9 Millionen Auflage, über zehn Millionen Leser). Die restlichen 20 Prozent kommen von vier Verlagen (MDS, Abendzeitung, Ippen, Gruner+Jahr).
In Deutschland gibt es elf überregionale Zeitungskonzerne, die zusammen etwa 60 Prozent der Gesamtauflage verkaufen. Die restlichen 40 Prozent kommen von 56 kleineren Unternehmen, die häufig regional mächtig sind. Diese 67 Zeitungsverlage unterhalten 134 publizistische Einheiten (Kernredaktionen, die alle wesentlichen Teile der Zeitung selbst erstellen). Übernimmt eine Zeitung den Politik- und Wirtschaftsteil von einer anderen, dann firmiert sie zwar weiterhin als eigenständiger Verlag (»Herausgeberverlage«), ist aber eigentlich nur ein Ableger des Zentralblatts. Die jeweiligen Zeitungen enthalten oft noch unterschiedliche regionale Varianten, so daß sich das gesamte Spektrum auf 1511 Zeitungsausgaben summiert.
Die Zeitungen innerhalb eines Verlags und auch eines Konzerns können ideologisch formiert werden. Das beste Beispiel dafür liefert der Springer-Konzern, der Unternehmensgrundsätze mit dezidierten politischen Positionen (z.B. »Solidarität… mit den Vereinigten Staaten von Amerika«) formuliert hat. Wer sich als Redakteur nicht daran hält, kann entlassen werden. Bei der FAZ gibt es ebenfalls einen »redaktionellen Kodex« als Bestandteil der Arbeitsverträge der Redakteure.
Bei den Regionalzeitungen ist der Normalfall das Monopol. Meistens gibt es in einem Landstrich nur einen Verleger, der sich unter Umständen zwei »Konkurrenz«-Blätter leistet (z.B. in Stuttgart, Nürnberg oder Aachen). In fast 60 Prozent aller Landkreise und Kreisstädte ist man bei der regionalen und lokalen Berichterstattung auf ein einziges Produkt angewiesen.
Die großen Fünf
Ebenso wie die Zeitungen leiden die Publikumszeitschriften unter wirtschaftlichem Druck. In keiner Mediensparte sinken die Reklameeinnahmen so stark wie hier. Seit 2001 sind die Nettowerbeerlöse jedes Jahr – mit einer Ausnahme 2006– geschrumpft, 2009 um 16,8 Prozent. 2010 hat es vermutlich eine »schwarze Null« gegeben. Gleichzeitig nimmt die verkaufte Gesamtauflage ab. Sie lag 2010 um 11,8 Prozent unter der von 2001. Und zu allem Überfluß werfen die Verlage laufend neue Titel auf den Markt. Die Durchschnittsauflage pro Magazin schrumpft dadurch noch mehr.Auf dem Markt für Publikumsblätter bestand bis vor wenigen Jahren ein Oligopol von vier Großverlagen, die mehr als 60 Prozent der Gesamtauflage lieferten. Inzwischen hat sich die WAZ-Gruppe als fünfter Spieler in der Spitzenrunde etabliert. Der exklusive Klub verkauft nun knapp zwei Drittel der Gesamtauflage und 87,5 Prozent der Magazine mit wöchentlicher oder zweiwöchentlicher Erscheinungsweise (Tab. 4). Hier kommen 30,9 Prozent allein vom Bauer-Konzern. Der Axel-Springer-Verlag ist gleichzeitig Marktführer bei den Zeitungen und damit der mit Abstand mächtigste deutsche Pressekonzern. Neben ihm ist nur noch die WAZ-Gruppe auf beiden Märkten stark.
Anders als bei den Zeitungen gibt es bei den Zeitschriften große Preisunterschiede; sie bewegen sich zwischen 50 Cent und zehn Euro pro Heft. Deshalb sagen die Marktanteile bei den Auflagen nicht alles aus. Während sich Bauer, Axel Springer und die WAZ-Gruppe hauptsächlich im Niedrigpreissegment (Regenbogenpresse, Programmzeitschriften) tummeln, sind Gruner+Jahr (Bertelsmann) und Burda eher mit anspruchsvolleren Titeln unterwegs. Damit wird deutlich mehr Geld eingenommen. In bezug auf die finanzielle Marktmacht (Tab. 5) ergibt sich deshalb eine andere Rangfolge als bei der Auflage.
In der jüngsten Zeit hat es auch bei den Publikumszeitschriften Machtverschiebungen gegeben. Im Jahr 2004 übernahm Burda den Verlag Milchstraße und liquidierte ihn schrittweise, im selben Jahr kaufte Gruner+Jahr die Mehrheit am Verlag Motorpresse Stuttgart. Axel Springer hat 2009 drei Jugendzeitschriften und seinen 50-Prozent-Anteil am Verlag Family Media verkauft. Bauer Media hat 2008 die Magazine der britischen Emap-Gruppe übernommen.
Bei der Programmpresse, die für den TV-Konsum der Bevölkerung von Bedeutung ist, sind die Marktstrukturen am krassesten zentralisiert. Die Fernsehzeitschriften werden von nur vier Konzernen (Bauer, Springer, WAZ, Burda) produziert, Bauer allein liefert 46 Prozent der Gesamtauflage. Bei den Programmbeilagen verkaufen Bertelsmann 64 Prozent und MDS 30 Prozent. Alle diese Verlage sind auch im Fernsehgeschäft engagiert.
Kleinteilige Buchsparte
Auf dem dritten großen Markt für Printmedien– den Büchern – fehlen Werbeeinnahmen. Außerdem kann ein Glücksgriff bei einem Titel den Verlagsumsatz eines Jahres spürbar in die Höhe treiben. Mittelgroße Verlage spielen deshalb eine vergleichsweise bedeutsame Rolle. Es gibt etwa 2800 Buchverlage, die 2009 knapp 82000 neue Titel herausbrachten und einen Buchhandelsumsatz von zehn Milliarden Euro erzeugten.Von den 25 größten Buchverlagen sind nur sieben im Segment Belletristik unterwegs, die übrigen liefern Fach- und Bildungsbücher. Die Verlagskonzerne treten meist nicht unter ihrem eigenen Namen auf den Markt, sondern in Gestalt einzelner Verlage oder Imprints (Tab. 6).
Die jeweils vier größten Verlagskonzerne konzentrierten 2009 in der gesamten Buchsparte 17,5 Prozent aller Umsätze auf sich, im Segment Belletristik sogar 30 Prozent. Fast die Hälfte des Buchumsatzes entfiel auf 25 Großverlage.
Wegen der Kleinteiligkeit der Buchsparte verleihen solche Marktanteile mehr Macht, als es der erste Blick nahelegt. Wer viele große Titel repräsentiert und dafür entsprechend Werbung macht, kann in den Buchhandlungen den meisten Raum und die besten Plätze in den Auslagen beanspruchen. Und er kann Sonderkonditionen und niedrigere Händlermargen durchsetzen, obwohl das eigentlich verboten ist. Die Weltbild-Gruppe ist zusätzlich im Vorteil, weil sie zusammen mit Hugendubel Deutschlands zweitgrößte Buchhandelskette DBH betreibt. Bertelsmann unterhält neben seinen Belletristikverlagen die Fachverlagsgruppe Wissenmedia und Buchklubs mit zahlreichen Läden.
Die bedeutsamste Machtveränderung war 2003 der Ausstieg von Axel Springer aus dem Buchgeschäft; er hat seine Verlage an Bertelsmann und die dänische Bonnier-Gruppe verkauft. Die FAZ-Gruppe ist zwischen 2003 und 2007 ebenfalls aus dem Markt ausgestiegen, der ADAC hat seinen Verlag CartoTravel 2007 verkauft. Brockhaus ist 2008/09 zerschlagen und größtenteils an Bertelsmann und Cornelsen abgegeben worden. Bertelsmann schluckte 2010 den Hörverlag. Daneben gab es zahlreiche kleinere Übernahmen oder Fusionen (so wie aktuell die von Aufbau mit Eichborn).
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