Freitag, 10. März 2017
Die Leistung und ihre Ver(sch)wendung
2016
exportierte Deutschland Waren im Wert von 1.207,5 Milliarden Euro und
importierte für 954,6 Milliarden. Es kam zum bisher höchsten
Exportüberschuss von 252,9 Milliarden. Exportüberschüsse sind das
Geschäftsmodell der deutschen Bourgeoisie. Bei fast allen
Abnehmerländern, wie den USA, Frankreich und Großbritannien, häufen
sich Defizite und Schulden an. Das schafft Unmut. Trumps
Wirtschaftsberater Navarro warf Deutschland in der Financial
Times vor, mit einem zu schwachen
Euro andere Länder auszubeuten. Die EU-Kommission forderte,
Deutschland solle mit höheren Löhnen und Renten, mit mehr
öffentlichen Investitionen zum Abbau der Ungleichgewichte in
Eurozone und Weltwirtschaft beitragen.
Anton
Börner, Chef des Bundesverbands Groß- und Außenhandel, sieht im
Überschuss „vor allem das Ergebnis
einer hervorragenden Leistung.“ Ein Grund seien niedrige
Importpreise für Öl und Rohstoffe. Gewiss profitiere Deutschland
auch vom schwachen Euro. Der sei aber „ganz klar die Entscheidung
der EZB, die eindeutig unabhängig und nicht von Deutschland
beeinflusst“ sei. Auch ließen sich „in der Tat zu schwache“
private Investitionen nicht einfach verordnen, „schließlich leben
wir nicht in einer Planwirtschaft.“ Börner sagt nicht, dass die
Agenda 2010 die realen Bruttolöhne absenkte, die erst 2014 wieder
über dem Niveau von 2003 lagen. Leih- und Werkvertragsarbeiter,
prekär Beschäftigte der Logistik, Teilzeitarbeitende, outgesourcte
Dienstleister, schlecht bezahlte Erzieherinnen und Pfleger, Kinder
und Alleinerziehende in Armut, Mehrfachjobber, Minirentner waren
ungefragt Mitträger der „hervorragenden Leistung“. Die Qualität
von Autos, Maschinen, Elektronik, chemischen Produkten, die die
Beschäftigten herstellen, ist hoch, trotz Abgasskandal. Doch liegen
permanente Exportüberschüsse im Interesse der Lohnabhängigen? Wäre
eine demokratisch kontrollierte Planwirtschaft nicht besser?
Folgt
man tonangebenden, neoliberalen Experten der herrschenden Klasse, so
muss für ständige „Entlastung“ der Unternehmen, genauer, der
Großeigentümer gesorgt werden, damit deren „Investitionsneigung“
steigt. Das war der Sinn der Agenda 2010. Die Erzählung besagt, dass
mittels Trickle-down-Effekten vom Reichtum, den sich die Reichen
aneignen, nach und nach einiges auf die Lohnabhängigen, die ihn
erarbeiten, herabsickert und die innere Nachfrage stärkt. Ein Jünger
dieser Lehre ist Schäubles Chefvolkswirt Ludger Schuknecht, der in
Springers Welt
über die EU-Forderung, mit öffentlichen Investitionen
Ungleichgewichte abzubauen, witzelt: „Für das Sanieren von Brücken
in Berlin oder den Bau von Schulen in Bremen werden nun mal nicht
viele Einfuhren aus Portugal oder Griechenland benötigt.“ Er weiß,
dass Schäuble, Gabriel und Dobrindt mit der Infrastruktur ganz
andere Pläne haben. Auch die Infrastruktur soll stärker den
„Investitionsneigungen“ privater Anleger zum Fraß vorgeworfen
werden, durch öffentlich-private Partnerschaften. Die Folgen:
Schäuble sitzt fest auf der schwarzen Null. Eltern sammeln Geld für
neue Klodeckel in den Schulen. Die Infrastruktur verfällt. Je größer
der Investitionsnotstand, desto plausibler erscheint die Beteiligung
von Privaten.
Bei
ausgeglichenem Handel könnte die „hervorragende Leistung“ im In-
und Ausland für ein besseres Leben eingesetzt werden. Mit
permanenten Überschüssen werden dagegen nur Forderungen gegen
Abnehmerländer akkumuliert. Berlin verordnet, soweit sein Arm
reicht, Spardiktate, betreibt die Plünderung südeuropäischer
Länder und den Ausbau der Monopolstellungen deutscher Konzerne.
Trumps Drohung mit Importzöllen, der bevorstehende Brexit
verunsichern derzeit die Profiteure des „Geschäftsmodells
Exportüberschüsse“. Sie fahren mal wieder auf Sicht und halten
ihre „Investitionsneigung“ zurück. Die Zukunftsrisiken der
Lohnabhängigen steigen.
Kommentar von Beate Landefeld in der UZ vom 10.3.2017
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