Freitag, 11. Januar 2019
Freie Fahrt für nukleares Wettrüsten?
Der INF-Vertrag von 1987 zwischen den USA und der UdSSR verbietet
landgestützte atomare Mittelstreckenraketensysteme der Reichweiten 500-5500 km.
Er stoppte in den 1980er Jahren die sogenannte „Nachrüstung“, mit der die US-Militärstrategie
die Zweitschlagfähigkeit der UdSSR aushebeln und einen Atomkrieg auf
europäischem Boden führbar machen wollte. Dagegen entstand eine breite
Friedensbewegung, die den INF-Vertrag als ihren Erfolg ansah. Die Anstrengungen
der USA, ihre Atomstreitkräfte zu befähigen, einen präemptiven (vorbeugenden) Erstschlag
gegen Russland zu führen, gingen auch nach dem Zerfall der UdSSR und des
Warschauer Pakts weiter. Die seit Jahrzehnten vorangetriebene US-Raketenabwehr
in Europa, die an Pläne Reagans anknüpfte, ist Teil der atomaren
Offensivstrategie.
2001 kündigte US-Präsident Bush den 1972 zwischen den USA
und der UdSSR vereinbarten ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen.
Bush wollte die Installierung solcher Systeme in Polen und Tschechien, angeblich gegen
Bedrohungen aus dem Irak, dem Iran oder Nordkorea. Seit dem Maidan-Putsch hielt
sein Nachfolger Obama es für überflüssig, zu leugnen, dass die Raketenabwehr real
gegen Russland und China gerichtet ist. Statt in Tschechien, wo die Pläne auf
Widerstand der Bevölkerung trafen, wurde ein erstes System 2016 in Rumänien installiert.
Polen soll 2020 folgen. 2018 stiegen die USA aus dem Iran-Atomabkommen aus. 2020
endet das START-Abkommen zur Begrenzung interkontinentaler Atomraketen. Die Kündigung
des INF-Vertrags ist Teil eines umfassenderen Ausstiegs der USA aus der atomaren
Rüstungskontrolle.
Die russische Regierung wirft den USA schon lange vor, den
INF-Vertrag zu verletzen, da die in Rumänien und Polen vorgesehenen
Raketenabwehrsysteme nicht nur mit Abfangraketen, sondern auch mit
kernwaffentragenden Marschflugkörpern bestückt werden können. Die USA werfen wiederum
Russland vor, landgestützte Iskander-Raketen in Kaliningrad stationiert zu
haben, deren Reichweite im Mittelstreckenbereich liege. Russland sagt, es handele
sich um Kurzstreckenraketen. Die gegenseitigen Vorwürfe ließen sich durch eine
Wiederbelebung des INF-Verifikationsregimes leicht überprüfen, wenn der
politische Wille dazu vorhanden wäre.
Das ist bei den USA nicht der Fall. Schon 2014, lange vor
Trump, verkündete John Bolton im Wall Street Journal, das INF-Abkommen sei nach
dem Kalten Krieg „obsolet“. Die Aufrechterhaltung der internationalen
Sicherheit erfordere den Zugang der USA zum vollen Spektrum konventioneller und
nuklearer Optionen, auch, weil China, der Iran und Nordkorea an den INF-Vertrag
nicht gebunden seien. Er empfahl den Republikanern eine Kampagne für die Wiedererlangung
der amerikanischen Überlegenheit (superiority) im Rahmen des
Präsidentschaftswahlkampfs. Unterstellungen einer Vertragsverletzung durch
Moskau enthielt sein Beitrag auch. Er sah sie als willkommene Gelegenheit, das
Abkommen loszuwerden (WSJ, 9.9.2014).
Neun frühere SPD-Vorsitzende warnen mit einem Aufruf „Kein
neues atomares Wettrüsten in Europa – Für einen neuen Anlauf zur
Rüstungskontrolle und Abrüstung!“ Sie fordern, „auch in Zukunft landgestützte
atomare Mittelstreckenraketen in Europa zu verbieten“. Deutschland und Europa
müssten die starke Stimme werden, die heute fehle, „die das scheinbar Utopische
– Abrüstung und gemeinsame Sicherheit, statt Aufrüstung, Abgrenzung und
Feindschaft – wieder ins Reale zurückholen will“. Polens Staatspräsident Duda zeigte
dagegen Verständnis für die Kündigung des INF-Vertrags durch die USA. Sprecher
der Bundesregierung halten sich streng an die Sprachregelungen der NATO. So
entsteht keine starke Stimme für den Frieden. Dennoch verdienen in der SPD auflebende
Abrüstungsbestrebungen Aufmerksamkeit. Sie helfen, die Gewerkschaften stärker
in die Friedensbewegung einzubeziehen.
Kolumne von Beate Landefeld in der Zeitung Unsere Zeit vom 11. Januar 2019
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