Freitag, 14. Februar 2020

In Thüringen misslang die diskrete Öffnung der bürgerlichen Mitte nach rechts


Mit der Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten Thüringens wollten AfD, FDP und CDU eine zweite Amtszeit des Linke-Politikers Ramelow verhindern. Direkt nach der Wahl stellten sich die FDP-Führer Lindner und Kubicki hinter Kemmerichs Plan, mit CDU, Grünen und SPD eine „Regierung der Mitte“ zu bilden. Von der CDU-Spitze war nichts zu hören. Erst als auf Twitter und vor FDP- und CDU-Parteibüros ein Proteststurm einsetzte, gingen die Spitzen beider großbürgerlichen Parteien auf Distanz zum Wahl-Coup ihrer Erfurter Abgeordneten. Kemmerichs Fehler sei gewesen, seine „überraschende“ Wahl durch die AfD anzunehmen, hieß es nun. Tags darauf forderte Angela Merkel, die Ergebnisse der Wahl rückgängig zu machen.

SPD-Vertreter erkannten früh ein „abgekartetes Spiel“. Thüringens SPD-Führer Tiefensee zitierte ein Interview Kemmerichs, der am Vorabend der Wahl die Minister von SPD und Grünen aufgerufen habe, in einer Regierung Kemmerich im Amt zu bleiben. „Sein Ziel war also, Ministerpräsident mit Regierung zu werden – obwohl er wusste, dass ihm die Stimmen von Rot-Rot-Grün fehlen werden. Er musste zwingend auf die AfD setzen, um in den MP-Sessel zu kommen.“ Der MDR machte einen Brief von AfD-Höcke an Kemmerich vom November 2019 publik, in dem Höcke anbot, „gemeinsam über neue Formen der Zusammenarbeit ins Gespräch zu kommen“. Denkbar seien eine „gemeinsam getragene Expertenregierung“ oder eine AfD-gestützte Minderheitsregierung als Alternative zu Rot-Rot-Grün.
Jeder weiß, dass Bodo Ramelow nicht vorhat, in Thüringen den Sozialismus einzuführen. Seine Politik unterscheidet sich nicht wesentlich von der seiner SPD-Ministerpräsidentenkollegin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz. Die AfD arbeitet jedoch beharrlich für das Ziel, ein Bild der Gesellschaft hegemonial zu machen, demzufolge verschwörerische Linke das Land im Griff haben. Die Linken sind an allem schuld. Neben den Ausländern sind sie die Sündenböcke für alle Missstände der Nation. Im AfD-Weltbild ist Ramelow ein SED-Erbe, Merkel ein Honecker-Zögling, die EU eine EUdSSR. Den hasserfüllten Antikommunismus teilt die AfD mit anderen rechten bürgerlichen Parteien. Sie buhlt um Akzeptanz im „bürgerlichen Lager“ mit dem Antikommunismus als Türöffner. In Erfurt stieß sie bei CDU und FDP auf offene Türen. 
Der Protest gegen die Kumpanei kam nicht nur von links. Er kam von Anhängern der Parteien, die sich „die Mitte“ nennen. Kulturschaffende, Bildungseinrichtungen, Politikwissenschaftler, Historiker, Medienleute, die Gewerkschaft der Polizei, der Zentralrat der Juden, Bischöfe der großen Kirchen, Verbände der Sinti und Roma übten laute Kritik am Pakt mit dem Faschisten Höcke. Von „Dammbruch“ und „Tabubruch“ war die Rede. Man zog Vergleiche mit der Weimarer Republik. Zwar ist die Bundesrepublik nicht Weimar und die AfD nicht die NSDAP. Trotzdem wurde eine wichtige Lehre zu Recht beherzigt: Wehret den Anfängen! Rechtspopulisten, die mit Rassismus und Menschenverachtung den Boden für Mord und Terror düngen, gehören politisch isoliert – wenn sie schon nicht verboten sind.
CDU und FDP gehen beschädigt aus der gewollten oder geduldeten Wahlgemeinschaft mit der AfD hervor. Das Dilemma der CDU: Wirbt sie um die Rückgewinnung ihrer nach rechts abgespaltenen Milieus, die heute die AfD einsammelt, dann gefährdet sie ihre unter Merkel mühsam erarbeitete Akzeptanz bei den großstädtischen Mittelschichten. Ohnehin ist sie ohne die Grünen künftig im Bund nicht mehrheitsfähig. Die FDP muss nach Erfurt bangen, bei der Hamburg-Wahl unter 5 Prozent zu sacken. Das Experiment einer diskreten Ausdehnung der „bürgerlichen Koalition“ nach rechts ging vorerst nach hinten los. Man wird weiter daran arbeiten, die AfD koalitionsfähig zu machen. Der nächste Test nach Erfurter Muster kommt bestimmt.

UZ-Kolumne von Beate Landefeld vom 14.2.2020

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