Freitag, 10. August 2018
Linke Machtoption?
„Die Idee ist gut. Der Zeitpunkt ist richtig gewählt. Das
Bedürfnis nach tiefgreifender Veränderung ist riesig“, schreiben der
SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, die Linke Sevim Dagdelen und die
Grüne Antje Vollmer im Spiegel vom 3.7.2018.
Es geht um die Sammlungsbewegung Aufstehen
für ein friedliches und gerechtes Land, die Sahra Wagenknecht und andere am
4. September ausrufen wollen. Sie sei keine neue Partei, sondern verstehe sich
als außerparlamentarische Bewegung, die neue Themen und Positionen in die
öffentliche Debatte bringen will. Mit dabei sind der Sozialpolitiker Rudolf
Dressler (SPD), der Soziologe Wolfgang Streeck, der Dramaturg Bernd Stegemann. Wagenknecht
nennt als Ziel „andere politische Mehrheiten und eine neue Regierung mit
sozialer Agenda“. Dafür will die Sammlungsbewegung Mitglieder der SPD, der
Grünen, der Linken, Parteilose und Nichtwähler mobilisieren. Die SPD sei ein
„Schlüssel“ für andere politische Mehrheiten. Solange die SPD ihre
Agenda-2010-Politik fortsetze, werde sie aber weiter schrumpfen. „Das
verringert die Chance auf eine linke Machtoption“, so Wagenknecht gegenüber dem
Spiegel.
Das Projekt will als überparteiliches, außerparlamentarisches
Bündnis agieren. „Wenn der Druck groß genug ist, werden die Parteien, auch im
Eigeninteresse, ihre Listen für unsere Ideen und Mitstreiter öffnen“, meint Sahra
Wagenknecht. Umfragen zufolge gibt es unter Wählern aller Bundestagsparteien nicht
wenige, die Wagenknecht unterstützen wollen. In den sozialen Medien hoffen viele
Anhänger auf eine Wahlkandidatur. Auch Befürworter „linkspopulistischer“ Versuche
nach dem Vorbild von Corbyn und Mélenchon setzen hierzulande auf Wagenknecht.
Der Druck, als Wahlpartei anzutreten, wird groß sein. Käme es dazu, würde sich
zeigen, ob neue Linkswähler erschlossen oder nur alte umverteilt werden können.
Von einer „linken Machtoption“ zu sprechen, ist aber selbst im Fall des Erreichens
formaler Mehrheiten „links von der CDU“, die es auch in der Vergangenheit schon
gab, übertrieben. Die Macht läge weiterhin bei den mit der
Milliardärs-Oligarchie verflochtenen Funktionseliten in Banken, Konzernen und Staatsapparaten.
Denen ist der heutige Sozialhaushalt schon zu hoch. Ohne ihnen wehzutun, ohne
Eingriffe in die Macht und Eigentumsrechte des Großkapitals wird es „tiefgreifende
Veränderungen“ nicht geben.
„Tiefgreifende Veränderungen“ im Interesse der Vielen setzen
ein hohes Maß an Organisiertheit, Bewusstheit und Kampfbereitschaft der
Bevölkerungsmehrheit voraus. So richtig das Aufstehen für ein gerechtes und
friedliches Land ist, so wenig helfen Illusionen, ein solches Land sei ohne
härteste Klassen- und Massenkämpfe zu erreichen. Wagenknecht will Hoffnung
machen, gerade auch jenen, die schon resigniert haben, vor allem ehemaligen
Anhängern der SPD. Mit Forderungen nach „Erneuerung des Sozialstaats“ und
Entspannungspolitik im Sinne Willy Brandts weckt sie Erinnerungen an bessere
Zeiten. Das ist legitim, wenn bedacht wird, dass es sich um die „30 goldenen
Jahre“ des Kapitalismus 1945-1975 handelte, um die Zeit der Systemkonkurrenz zwischen
Kapitalismus und Sozialismus in Europa und – damit verbunden – einer starken
Arbeiterbewegung. Stärkt die Sammlungsbewegung die Selbsttätigkeit,
Organisiertheit, Bewusstheit und Kampfkraft der heutigen, unteren Klassen und
Schichten oder nährt sie die falsche Hoffnung, es genüge ein Austausch des
Spitzenpersonals? Auch daran wird ihr Erfolg zu messen sein.
Sollte künftig in den Medien stärker über Sahra Wagenknechts
Sammlungsbewegung und weniger über die AfD gesprochen werden, wäre das in jeder
Hinsicht ein kultureller Fortschritt. Die Schattierungen, Politiken und Formen der
Sozialdemokratie werden vielfältiger. Wir suchen in Gewerkschaften, in der
Friedensbewegung und in sozialen Bewegungen die Diskussion und Aktionseinheit
mit allen von ihnen.
UZ-Kolumne von Beate Landefeld vom 10.8.2018
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