Freitag, 9. November 2018
Falsche Zuschreibungen
Söder tönte nach der Bayernwahl, er wolle nicht mit den
Grünen koalieren. Vielmehr wolle er mit den Freien Wählern eine „bürgerliche
Regierung“ bilden. Will er suggerieren, Koalitionen mit Grünen oder die GroKo
in Berlin seien Koalitionen mit „nichtbürgerlichen“, „linken“ Parteien? Weiter
rechts von Söder, kläfft die AfD gegen ein „links-grün-versifftes Establishment“
und unterstellt, es gäbe eine Dominanz „der Linken“ in Medien, Staat und
Gesellschaft. Als „links“ verschrien ist in diesem Spektrum auch die SPD-Führung.
Angela Merkel wiederum ist den Rechten in ihrer eigenen Partei „zu links“. AfDler
beschimpfen Merkel gar als „Honecker-Zögling“.
Was „links“ und was „rechts“ ist, hängt nicht davon ab, ob eine
politische Richtung von einer imaginären „Mitte“ nach „rechts“ oder „links“
abweicht. Vielmehr muss der Klasseninhalt von Politik analysiert werden. Ursprung
des „Rechts-Links-Schemas“ war die Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung.
Doch seitdem bedeutet „links“ die Parteinahme für die Emanzipation der unteren
Klassen und „rechts“ die Verteidigung von Macht und Privilegien der oberen
Klassen.
In der Bundesrepublik herrscht ökonomisch die
Monopolbourgeoisie, deren politische Hauptpartei seit Jahrzehnten die CDU/CSU
ist. Die Rolle der rechten SPD-Führung besteht seit mehr als 100 Jahren darin,
die Arbeiterklasse in das kapitalistische System zu integrieren. Da sie das nur
kann, wenn sie in gewissem Maß in der Arbeiterklasse verankert bleibt, entsteht
in ihr zugleich immer wieder ein oppositioneller linker Flügel. Wenn Peer Steinbrück
sich für die SPD zurzeit einen Bernie Sanders (nur 30 Jahre jünger) wünscht,
trägt er dieser Logik Rechnung. Die Grünen stiegen auf, als im Gefolge der
Ausweitung des Bildungswesens in den 1970er Jahren die neuen Mittelschichten stark
anschwollen. Im Unterschied zum alten Mittelstand und zum traditionellen
Beamtentum sind große Teile der neuen Mittelschichten Nachfolgegenerationen der
1968er und Aufsteiger aus Familien Lohnabhängiger.
In den 1980ern engagierten sich viele Angehörige der neuen
Mittelschichten in den „neuen sozialen Bewegungen“ für Frauenrechte, gegen
AKWs, für Schwulen- und Minderheitenrechte. Dem Neoliberalismus gelang es, durch
Aufgreifen dieser „weichen“ Themen der Nach-1968er Bewegung und mit rechtlichen
und kulturellen Zugeständnissen, große Teile der neuen Mittelschichten für das
Bündnis mit dem Monopolkapital zu gewinnen. Politik und Ideologie des
Monopolkapitals modernisierten sich dabei, auch im Eigeninteresse an mehr Frauenerwerbsarbeit
oder an mehr Migration. Das ist ablesbar an der Modernisierung der CDU durch
Merkel, mit der die Partei in Großstädten verlorenen Boden gut machen wollte.
Seit dem Jugoslawienkrieg haben sich die Grünen endgültig vom
Antiimperialismus der 1968er gelöst und sind ins NATO-Lager übergegangen. Auch waren
sie als Beteiligte an der Agenda 2010 Komplizen beim Abbau von Rechten der
Arbeiterklasse. Daher ist ihre Politik schon lange nicht mehr „links“. Vielmehr
sind die Verwerfungen infolge des neoliberalen Umbaus, die Prekarisierung und
Schwächung der Arbeiterbewegung, die Folgen imperialistischer Kriege und Regime
Changes mitverantwortlich für den Aufstieg des Rechtspopulismus. Früher wurde
dieser durch die CDU und vor allem die CSU mit abgedeckt. Nach deren
„Modernisierung“ geht das nicht mehr.
Ein großes linkes Lager, dem ein bürgerliches Lager gegenüberstünde,
gibt es in der Bundesrepublik heute nicht. Die Linkspartei agiert im
Zehn-Prozent-Ghetto, die DKP ist weitgehend marginalisiert. Die SPD will sich ständig
erneuern, weiß aber nicht wie. Die vielen Massenaktionen gegen rechts, für Demokratie
und soziale Belange schlugen an den Wahlurnen bisher primär für die Grünen zu
Buche. Immerhin erhöht das für CDU/CSU die Hemmschwelle für Koalitionen mit der
AfD.
UZ-Kolumne von Beate Landefeld vom 9.11.2018
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