Freitag, 12. Juli 2019
Austerität und Dublin
„Frieden. Europa ist die Antwort“, war eine Parole im EU-Wahlkampf.
Einige Wochen nach der Wahl nominierte der Europäische Rat die Freundin der
Rüstungskonzerne Ursula von der Leyen als EU-Chefin im Paket mit der Freundin
der Hochfinanz Christine Lagarde als EZB-Chefin. Macron, Italien und die Visegrád-Staaten
fegten das „Spitzenkandidatenprinzip“, das Demokratie simulieren soll, beiseite.
Die Visegrád-Staaten schätzen Frau von der Leyen wegen ihrer zuverlässig
antirussischen Haltung, ihres Einsatzes für die NATO-Ostflanke und für die EU-Militarisierung.
Der Militarismus als einigendes Band bildete den Auftakt zur neuen EU-Legislaturperiode.
Zur gleichen Zeit entkam die Käpitänin des Seenotrettungsschiffs Sea-Watch 3 dem
Gefängnis. Ein italienisches Gericht erklärte ihre Einfahrt in den Hafen von
Lampedusa mit 40 Flüchtlingen aus libyschen Lagern an Bord für rechtens.
Italien sperrte 2018 seine Häfen für Schiffe privater
Seenotretter. „Der kontroverse Schritt ist völkerrechtlich nicht zu beanstanden
und könnte einen überfälligen Kompromiss auf europäischer Ebene bringen“,
schrieb dazu seinerzeit die Deutsche Welle (18.6.2018). Italien übt damit Druck
auf andere EU-Staaten aus, die Dublin-Regeln zu ändern. Das EU-Verteilsystem
für Flüchtlinge, wonach sie ihren Asylantrag in dem Land stellen müssen, dessen
Boden sie zuerst betreten, belastet vor allem die Mittelmeer-Anrainer Italien,
Griechenland, Malta, Spanien und Zypern, die ohnehin durch den EU-Austeritätskurs
gebeutelt sind. Italiens Innenminister Salvini nutzt den Konflikt, um mit nationaler
Demagogie zu punkten. Die Sea-Watch-Kapitänin sei eine „verwöhnte deutsche
Kommunistin“, das Einlaufen in den Hafen eine „Aggression“.
Libyen wurde 2011 von Frankreich, Großbritannien und den USA
zum „gescheiterten Staat“ zerbombt. Seither beherrschen rivalisierende Warlords
das Land. Sie befehligen die berüchtigte libysche Küstenwache, die seitens der
EU logistische und finanzielle Unterstützung erhält. Damit soll sie jedoch
nicht in erster Linie Menschen aus Seenot retten, sondern dafür sorgen, dass Migranten
von Libyen aus nicht in die EU gelangen. Fängt die Küstenwache sie ab, werden sie
häufig in Lagern interniert, erhalten wenig zu essen, werden misshandelt,
vergewaltigt, an Milizen oder als Sklaven verkauft. Das UN-Flüchtlingshilfswerk
will die Evakuierung vieler dieser Lager.
Die EU drängt auch die anderen nordafrikanischen Staaten zu
schärferen Kontrollen auf dem Mittelmeer und dazu, Migranten aus südlicheren
Ländern nicht weiterreisen zu lassen. So kam es in Libyen und Marokko dazu,
dass abgefangene Migranten in der Wüste ausgesetzt wurden und verdursteten.
Länder südlich der Maghrebstaaten erhalten EU-Hilfen zum Ausbau ihrer
Repressionsapparate gegen Wanderungen. Die brutalsten Seiten der
Migrantenabwehr werden so aus der EU ausgelagert, unsichtbar für die selektive
Selbstwahrnehmung der EU als „Gemeinschaft der Werte“. Doch manche wollen nicht
wegschauen. Zu ihnen gehören die Seenotretter, die das Mittelmeer beobachten. Von
Anfang an wurde versucht, sie zu kriminalisieren.
Unterstellt wird, Seenotrettung verleite Migranten, die
Fahrt über das Mittelmeer überhaupt erst anzutreten. Eine These, die ebenso logisch
ist, wie die Annahme, die Existenz einer Bergwacht verleite zum Besteigen von
Bergen. Die Gründe für Flucht und massenhafte Migration sind Kriege, Armut,
Not, Unterdrückung, Diskriminierung. Und der Werte-Imperialismus ist meist daran
beteiligt. Ein Seawatch-Sprecher wies darauf hin, „dass wir einen Außenminister
haben, der auf der einen Seite 'Donnerstage für Demokratie' fordert, der aber
auf der anderen Seite die sogenannte libysche Küstenwache ausbilden lässt, die
Menschen, die aus Seenot gerettet werden, wieder in libysche Folterlager
zurückbringt" (Video Pressekonferenz 2.7.2019, Min. 16ff.).
UZ-Kolumne von Beate Landefeld vom 12. Juli 2019
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