Freitag, 8. März 2019
Wie realistisch ist die strategische Autonomie der EU?
2019 und 2020 gehört die Bundesrepublik zu den zehn
nichtständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, ebenso wie Belgien. Zusammen
mit den ständigen Mitgliedern Frankreich und Britannien sind bis zum Brexit vier
EU-Staaten in dem Gremium. Eine neue Studie der Stiftung Wissenschaft und
Politik (SWP) sieht dies als Gelegenheit und Herausforderung für die
Bundesregierung, „mehr europäische Autonomie“ in der Weltpolitik zu üben. Wie nimmt
sie diese Rolle wahr? Ihr Umgang mit dem Iran-Atomabkommen, mit der Kündigung
des INF-Vertrags, ihr Agieren beim Putschversuch in Venezuela und im
Handelskonflikt USA-China lässt nichts Gutes ahnen.
Das Iran-Abkommen sah vor, dass der Iran auf den Bau der
Atombombe und der Westen auf Iran-Sanktionen verzichtet. Als die USA es 2018 aufkündigten,
beteuerten alle übrigen Partner, darunter Deutschland und Frankreich, sie wollten
am Abkommen festhalten. Kurz darauf signalisierten jedoch die Großkonzerne derselben
Länder, von Total bis Siemens, sie würden die US-Sanktionen gegen den Iran einhalten,
um ihren Zugang zum US-Binnenmarkt nicht zu gefährden.
Der INF-Vertrag verbot Russland und den USA die
Stationierung landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen, durch die ein
Atomkrieg auf europäischem Boden „führbar“ würde. Als die USA Ende Januar aus
dem Vertrag ausstiegen, schloss sich die Bundesregierung der Rechtfertigungspropaganda
der NATO für die Kündigung an. Rumänien und Polen bauen längst an Systemen, die
auch Marschflugkörper starten können. Altmaier und von der Leyen sehen die Raketenstationierung
als „Option“. Maas will „einen neuen Vertrag unter Einbeziehung Chinas“. Die
chinesische Global Times entlarvte dies umgehend als Versuch einer „Entlastung
der USA“.
Beim jüngsten Putschversuch in Venezuela unterschied sich
die „strategisch autonome“ Position der EU von der der USA dadurch, dass die
USA Guaidó sofort als Interimspräsidenten anerkannten und eine Koalition der
Willigen der EU dies erst nach Verstreichen eines einwöchigen Ultimatums tat.
Zudem will Mogherini namens der EU über eine „friedliche Transition“ verhandeln,
während Guaidó und die US-Regierung Verhandlungen für Zeitverschwendung halten.
Der Unterschied ist nur verbaler Natur, da sowohl die EU wie auch die USA die
„Präsidentenneuwahl“ mit Druck und Sanktionen erreichen wollen. Venezuela verlegte
den Europasitz des Ölkonzerns PDVSA von Lissabon nach Moskau und entzog ihn so
dem Zugriff von EU-Staaten.
Positioniert sich die exportabhängige BRD im Handelskonflikt
USA-China gegen Trumps Protektionismus? Zwar wendet sich das Grundsatzpapier des Bundesverbands der
Deutschen Industrie zu China gegen eine (angeblich in den USA diskutierte) „generelle
Entflechtung der ökonomischen Beziehungen“ zu China und plädiert für Austausch
und Kooperation. Zugleich erklärt es China zum „Systemwettbewerber“, gegen den
es sich zu schützen gelte. Dazu soll Deutschland in der EU für eine „ehrgeizige
Industriepolitik“ wirken und mit der „Interessen- und Wertegemeinschaft“ G7
einheitliche „Standards für Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit,
die Marktwirtschaft und das internationale regelbasierte Handelssystem“ setzen.
Die in der EU dominierenden deutschen Monopole wollen auf dem
großen Binnenmarkt der USA präsent bleiben. Dank gemeinsamer Klasseninteressen
mit dem US-Monopolkapital sehen sie die eigenen Expansionsinteressen im aggressiven
NATO-Bündnis am besten aufgehoben. Die EU, gespalten in Kerneuropa, Süd- und
Ostflanke, lässt sich nur in und mit der NATO zusammenhalten. Der Anteil der
USA wie auch der der EU am Welt-BIP schrumpft. Daher ist der Spielraum für „mehr
strategische Autonomie der EU“ bescheiden und deutet viel auf eine noch
stärkere Schließung der Reihen der NATO hin, in der Frontstellung gegen
Russland und China.
Kolumne von Beate Landefeld in Unsere Zeit vom 8.3.2019
Labels:
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